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A. Erzählende Prosa. I. Fabeln und Parabeln.
behend auf einen Baum und setzte sich in den Gipfel, wo Äste und Laub¬
werk sie völlig verbargen. „Bindet den Sack auf, Herr Fuchs, bindet den
Sack auf!" rief ihm die Katze zu. Aber die Hunde hatten ihn schon ge¬
packt und hielten ihn fest. „Ei, Herr Fuchs," rief die Katze, „Ihr bleibt
mit Euern hundert Künsten stecken. Hättet Ihr herauskriechen können wie
ich, so wär's nicht um Euer Leben geschehen."
3. Die Wohlthaten.
Von G. E. Lessing. Werke.
„Hast du wohl einen größern Wohlthäter unter den Tieren als uns?"
fragte die Biene den Menschen.
„Jawohl!" erwiderte dieser.
„Und wen?"
„Das Schaf! Denn seine Wolle ist mir notwendig, und dein Honig
ist mir nur angenehm. Und willst du noch einen Grund wissen, warum
ich das Schaf für meinen größeren Wohlthäter halte als dich, Biene? Das
Schaf schenkt mir seine Wolle ohne die geringste Schwierigkeit; aber wenn
du mir deinen Honig schenkst, muß ich mich noch immer vor deinem
Stachel fürchten." _
4. Die Eiche und das Schwein.
Von G. E. Lessing. Werke.
Ein gefräßiges Schwein mästete sich unter einer hohen Eiche mit der
herabgefallenen Frucht. Indem es die eine Eichel zerbiß, verschluckte es
bereits eine andere mit deni Auge.
„Undankbares Vieh!" rief endlich der Eichbaum herab. „Du nährst
dich von meinen Früchten, ohne einen einzigen dankbaren Blick auf mich
in die Höhe zu richten."
Das Schwein hielt einen Augenblick inne und grunzte zur Antwort:
„Meine dankbaren Blicke sollten-nicht ausbleiben, wenn ich nur wüßte,
daß du deine Eicheln meinetwegen hättest fallen lassen."
5. Der wilde Apfelbaum.
Von G. E. Lessing. Werke.
In den hohlen Stamm eines wilden Apfelbaumes ließ sich ein
Schwarm Bienen nieder. Sie füllten ihn mit den Schätzen ihres Honigs,
imd der Baum ward so stolz daraus, daß er alle andern Bäume gegen
sich verachtete.
Da rief ihm ein Rosenstock zu: „Elender Stolz auf geliehene