Full text: Deutsches Lesebuch für Quinta (Teil 2, [Schülerband])

L. Stacke und G. Schwab: Der trojanische Krieg. 55 
Helden giebt, auch wenn der göttergleiche Achilles auf dem Kampfplatze 
fehlt. Wohlan denn, beginn den blutigen Kampf!" Ihm antwortete 
Hektor: „Herrlicher Sohn des Telamon, versuche mich nicht wie ein 
schwaches Kind oder ein unkriegerisches Weib. Sind mir doch die Männer¬ 
schlachten wohlbekannt; ich weiß den Stierschild zu wenden rechts und 
links, weiß den Tanz des schrecklichen Kriegsgottes zu tanzen und die 
Rosse im Gewühl zu lenken! Wohlan, nicht mit heimlicher List sende ich 
dir den Speer, tapferer Held, nein, öffentlich!" Mit diesen Worten 
schleuderte er in hohem Schwünge die Lanze, und sie fuhr dem Ajax in 
den Schild, durchdrang sechs Schichten und ermattete erst in der siebenten 
Haut. Jetzt flog die Lanze des Telamoniers durch die Luft; sie zer¬ 
schmetterte dem Hektor den ganzen Schild, durchschnitt sein Gewand und 
würde ihni in die Weiche gedrungen sein, wenn er nicht durch eine ge¬ 
schickte Wendung des Leibes es verhindert hätte. Beide zogen nun die 
Speere aus den Schilden und rannten wie unverwüstliche Waldeber aufs 
neue gegeneinander. Hektor zielte, mit dem Speere stoßend, auf die Mitte 
des Schildes, aber seine Lanzenspitze bog sich an der harten Haut und 
durchbrach das Erz nicht. Ajax jedoch durchbohrte mit seinem Speere den 
Schild seines Gegners und streifte ihm selbst den Hals, daß ihm schwärz¬ 
liches Blut entspritzte. Da wich Hektor ein wenig rückwärts, seine nervige 
Rechte aber ergriff einen Feldstein und traf damit den Schildbuckel des 
Feindes, daß das Erz erdröhnte. Doch Ajax hob einen noch viel größeren 
Stein vom Boden auf und sandte ihn mit solchem Schwünge dem Hektor 
zu, daß er den Schild einwärts brach und dem Gegner das Knie verletzte. 
Der trojanische Held sank rücklings nieder, doch verlor er den Schild 
nicht aus der Hand, und Apollo, der unsichtbar ihm zur Seite stand, 
richtete ihn schnell wieder auf. Beide Kämpfer wollten nun mit dem 
Schwerte aufeinander los, um den Streit endlich zu entscheiden; da eilten 
die Herolde der beiden Völker herbei und streckten die Stäbe aus zwischen 
den Kämpfenden. 
„Nun ist es genug des Kampfes," rief Jdäus, der trojanische Herold, 
„ihr seid ja beide tapfer und von Zeus geliebt, des sind wir alle Zeugen!" 
Und Hektor selbst sprach zum Helden Ajax: „Ein Gott hat dir, o Ajax, 
den gewaltigen Leib, die Kraft und Geschicklichkeit verliehen; darum laß 
uns heute ausruhen vom Kampfe der Entscheidung; ein andres Mal 
wollen wir so lange fechten, bis die Götter dem einen Volke Sieg, dem 
andern Verderben bereiten!" Da wurde Ajax freundlich und reichte 
seinem Gegner die Hand. Und Hektor sprach weiter: „Nun laß uns 
aber auch einander noch rühmliche Gaben schenken, damit cs einst bei 
Griechen und Trojanern heiße: „„Sehet, sie kämpften zusammen den Kampf 
der Zwietracht, aber in Freundschaft schieden sie voneinander!"" Nach 
diesen Worten löste Hektor sein Schwert mit dem silbernen Griff und der 
silbernen Scheide und dem zierlichen Wehrgehenk und gab es dem Ajax,
	        
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