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Prosa. A. Darstellungen, Abhandlungen, Betrachtungen.
für die Folgezeit wichtiger als diese wurde: Er hat, als echter Romantiker
für die mittelalterliche Kaiserherrlichkeit begeistert, die Kaiseridee in der
Seele des deutschen Volkes, zumal der Jugend, wieder aufleben lassen, hat
ihr, indem er die alten, geheiligten Stätten am Rheine zum Teil wunder—
schön pries, auch den „Ort der Sehnsucht“ gegeben, wo sie wachsen und ge—
deihen mußte. Auch das schönste Gedicht auf unsere Muttersprache stammt
von ihm. Unter seiner weltlichen, nichtpatriotischen Lyrik ist wenig Gelungenes,
seine geistlichen Gedichte aber gehören zu den besten des neunzehnten Jahr—
hunderts. Allerdings, es ist ein gewaltiger Unterschied zwischen Uhlands
„Schäfers Sonntagslied“ und Schenkendorfs „Gottesstille, Sonntagsfrühe“;
aber den guten, schlichten, frommen Vers zu verachten, weil er nicht zum
Kunstkristall gediehen, ist ein großes Unrecht; die Seele, die sich gläubig
ergießt, die Persönlichkeit, die in Versen sich selbst, ihr Bestes gibt, ist doch
auch etwas. Wir wollen der Kunst nichts vergeben, aber wir wollen sie
auch nicht zur Geißel für die Nichtgenies machen; das ehrliche, strebende
Talent hat auch sein Lebensrecht, und Leben, Zeit und Stunde erheben oft
Ansprüche, die nicht mit Kunstkristallen zu befriedigen sind. Das muß man
sich gegenwärtig halten, wenn man die Dichter der Befreiungskriege und
manche andere Erscheinungen richtig beurteilen will. Schenkendorf in sieben
kalten Zeilen „abzutun“, ist keine Kunst, aber des wahren Literatur—
historikers würdiger, sich von seinem Geiste berühren zu lassen, ihn wieder
wachzurufen.
IV. Kunst.
28. Die altchristliche Kunst.
Von M. G. dimmermann.
„Kunstgeschichte des Altertums und des Mittelalters.“ Bielefeld u. Leipzig 1900.
Am allerwenigsten hat die christliche Kirche der ersten Jahrhunderte ge—
wagt, den Heiland selbst darzustellen, außer als kleines Kind auf dem
Schoß seiner Mutter oder etwas später in Bildern des Neuen Testaments.
An den Erlöser erinnerte das Lamm, denn als Opferlamm hatte er der
Welt Sünde getragen. Auch die Apostel und die Gläubigen wurden unter
dem Bilde von Lämmern dargestellt, sogar in bestimmten Handlungen.
Christus selbst hatte seine Jünger oft genug mit Lämmern verglichen und
sich selbst als den Hirten bezeichnet. Das hat die christliche Kunst aufgegriffen,
und das anmutigste Bild, unter welchem sie den Heiland darstellt, ist das
des guten Hirten zwischen seinen Lämmern oder ein Lamm auf den Schultern
tragend, letzteres in Anspielung auf das Gleichnis vom verlorenen und
wiedergefundenen Schaf und hindeutend auf die Vergebung der Sünden.
Nicht weniger häufig wird Christus unter der Gestalt eines Fisches abge—
bildet, ein Sinnbild von nicht ganz klarer Beziehung. Der Fisch erinnert
daran, daß das Element, in dem er lebt, das der Taufe ist; Christus