Full text: Prosa für das Seminar (Teil 2, [Schülerband])

II. Pädagogik. 
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Wenn der Wind graziös mit unserem Hut spielt, daß wir ihm, alle Würde 
vergessend, nachlaufen müssen, worüber lacht man? Oder wenn wir inter— 
essante Gedanken vortragen wollen und uns verschlucken? Für diesen 
Naturstoß können wir nichts. Oder es will einer eine Festrede halten, und 
es kommt ihm Fackelrauch in den Mund. Da, wo er gerade recht feierlich 
reden sollte, wird er am fürchterlichsten gestört. Seine Stimme schlägt 
um, und er muß nun mit Fisteltönen sprechen. Wie ist es da? Können 
wir da auch lachen? Gewiß, in dem vorhergenannten Sinne. Es kostet 
wenig Phantasie, um uns vorzustellen, daß der Naturvorfall uns von 
einem Dämon als Streich gespielt ist. Der Wind erscheint uns wie ein 
neckischer Kobold. Es möge sich jeder fragen, ob er nicht auch schon einen 
Stein angeflucht hat, übet den er gestrauchelt ist. Er täte es ganz gewiß 
nicht, wenn er ihm nicht einen Geist unterschöbe. Der Mensch lebt in 
einem beständigen Krieg mit dem Zufall. Wir wandeln auf Glatteis und 
sind keinen Augenblick sicher, daß wir nicht fallen. Auch die innere Natur 
kann uns so ein Bein stellen. Wenn einem guten Menschen plötzlich eine 
Dummheit, eine Eitelkeit usw. herausplatzt, wenn er in einer Gesellschaft 
irgend einen fürchterlichen Bock schießt, so ist es, als ob ihm das aus einer 
dämonischen Absicht angetan würde. Der Mensch erscheint im Komischen 
als ein taumelndes Wesen. Wir fahren alle im Leben Schlittschuh, und 
plumps! da liegen wir. Wir haben aber dabei das dunkle Gefühl, als 
habe uns vorher etwas halb verständlich gezupft, gewarnt. Und im Zu— 
schauer wirkt das noch stärker und unterstützt wesentlich sein Lachen. Es 
kommt der Schein von einer halben Schuld auf den Betroffenen, weil er 
auf den Zufall nicht genug geachtet hat und ihm deshalb unterlegen ist. 
Es ist die Einbildung, als habe der Pechvogel gewußt, wie es kommen 
wird, und doch nicht aufgepaßt, doch verkehrt gehandelt; wir leihen ihm 
unser besseres Bewußtsein. Wir lachen darüber, daß der Mensch weise und 
töricht ist in einem Moment. 
Wir haben da also einen Verlachenden und Verlachten, einen Beob— 
achtenden und einen Beobachteten. Der Beobachtete ist ertappt über einer 
menschlichen Blindheit. Beide sind Menschen: der Ertappende und der 
Ertappte. Einer lacht über den anderen. So lacht die Menschheit über 
sich selbst. Es kann aber auch nur einer sein, und dies ist der feinere Fall 
des Komischen. Ich entdecke Schwächen an mir selbst und lache über mich 
selbst. Dies ist der Humor: der sich selbst ertappende und verlachende 
Mensch. Die Humoristen entdecken eigene Schwächen und geben sie preis 
im Gespräch. Was der Humorist hiermit preisgibt, erniedrigt ihn denn 
es sind Schwächen). Daß er es aber preisgibt, erhebt ihn, hebt seinen Geist 
heraus aus der Klemme des Lebens, in der wir alle stecken, heraus aus dem 
allgemeinen Weltspital. 
Ein Bauer ist stark berauscht und taumelt im Zickzack. Er hat roten 
und weißen Wein getrunken. Wenn es ihn nach rechts wirft, sagt er: 
„Weißer, wehr dich!“; wenn nach links: „Roter, wehr dich!“ Er meint,
	        
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