Full text: Prosa für das Seminar (Teil 2, [Schülerband])

II. Pädagogik. 
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sam als Sonntagskleid neben dem Werktagskleide. Auch das ist übrigens 
in der Wirklichkeit nichts Neues; denn der Zwang der Dinge mußte es ja 
mit sich bringen, daß trotz des gegenteiligen halbbewußten Grundsatzes der 
wirkliche Gang des Lernens diesen einzigen natürlichen Weg einschlug! 
Die Einwendungen, die dagegen gemacht wurden, sind nicht stich— 
haltig. Man hat namentlich gefürchtet, die Mundart mit ihren Auswüchsen 
könne dadurch zu einer widernatürlichen Bedeutung und Wichtigkeit heran— 
wachsen in den Augen der Schüler wie des Lehrers, das Hochdeutsch aber, 
also das eigentliche Ziel, Schaden leiden in seiner mit jahrhundertelanger 
Mühe gewonnenen reinen Form. Das ist aber in keiner Weise zu fürchten 
in einer Zeit, wo durch die Übergewalt des geschichtlichen Ganges das 
Hochdeutsch als Spitze und Ziel aller höheren Bildung so allgemein schon 
gewissermaßen in der Luft liegt, daß die Schüler alle schon stofflich etwas 
davon als Ansatz aus dem Vaterhause mitbringen, vor allem aber das 
Gefühl von seiner Wichtigkeit und den schlummernden Drang, sich's an— 
zueignen, weil es sie auf die Höhe führt, nach der doch alle streben. Nur 
abschrecken darf man sie nicht davon durch verkehrtes Verfahren, wie viel— 
fach geschieht, wo sie oft das Gefühl haben müssen, als ob sie in sich 
eigentlich von Rechtem und Brauchbarem gar nichts mitbrächten, als ob sie 
alles erft in der Schule erhalten könnten, während sie doch wirklich viel— 
mehr voller Keime in die Schule kommen; aber die Spelzen statt des 
Brotes darf man ihnen freilich nicht bieten und nicht die Rechtschreibung oder 
die geschriebene Form als das Wesentliche an der Sprache ihnen mit Angst 
verbunden einprägen. Ich dächte, redend müßte man ihnen so lange als 
möglich das Neue beibringen, sie selbst so viel als möglich reden lassen 
und mit der Rechtschreibung, die ja immer nur das Kleid des Wortes ist, 
die äußerste Muttergeduld haben, wenigstens sie so behandeln, daß sie nie 
davor Angst bekommen. Mit dem Schreibunterricht beginnt ja früh die 
Gewöhnung an die einmal gültige Form, und nur die allmähliche Gewöh— 
nung ist die Macht, die hier helfen kann, daß Auge und Ohr sich endlich 
verständigen. 
Andere fürchten, nicht nur die Form, auch der Sprachschatz des Hoch— 
deutschen könnte durch diese sozusagen amtliche Anerkennung der Mundart 
den Leuten verderbt und herabgezogen werden, die volkstümlichen Ausdrücke 
würden sich zu breit machen. Auch diese Furcht scheint mir eitel. Denn 
auch für den Unterschied der Ausdrücke und Wendungen nach ihrem ver— 
schiedenen Standeswerte, wie sie in verschiedenen Schichten gewissermaßen 
übereinander lagern, bringt der Schüler bereits ein gewisses Gefühl aus 
seinem Lebenskreise mit und kommt damit dem Lehrer entgegen. Aber auch 
hier ist das Übersehen der Sprache, die der Schüler zu Hause und in der 
Zwischenstunde spricht, vielmehr schädlich, und was ihr gegenüber nötig ist, 
das wird vielmehr dadurch erreicht, daß der Lehrer diese Sprache samt 
ihrem Inhalte in der rechten Weise und Auswahl bei günstigen Gelegen— 
heiten mit in den Bereich seiner Lehre zieht und sie so ins rechte Licht stellt;
	        
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