Full text: Von der Urzeit bis zum Ende des 17. Jahrhunderts (Band 1, [Schülerband])

Das Hildebrandslied 
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Der Sänger schwieg und beugte das Haupt über das Saitenspiel; 
still war es in der Halle wie nach einer Totenklage, die Augen der 
Männer glänzten und in den Gesichtern arbeitete die Bewegung; aber 
in keinem mehr als in dem des Fremden. Da der Sänger eintrat 
und im Vorübergehen sein Gewand berührte, hatte er das Haupt nieder¬ 
gebeugt und, wie sein Nachbar Wolf ohne Freude wahrnahm, an dem 
Bericht des Sängers weniger teilgenommen, als einem Krieger schicklich 
war, und die Bankgenossen hatten aus ihn gewiesen und spottende Worte 
getauscht. Als aber der Sänger von dem Kampf um das Drachenbild be¬ 
gann, da hob er das Antlitz, ein rosiges Licht flog über seine Züge 
und so strahlend und verklärt war der Blick, den er nach dem Sänger 
warf, daß, wer auf ihn sah, die Augen nicht abwenden konnte: wie 
ein Goldschein hob sich das Helle Lockenhaar um das begeisterte Antlitz. 
Und als der Sänger schwieg, saß er noch unbeweglich. 
„Sieh dorthin, Volkmar!" rief eine tiefe Frauenstimme, vor Be¬ 
wegung zitternd, und alle Blicke folgten der Richtung, nach welcher 
die Hand Irmgards wies, die hochaufgerichtet in der Laube stand. 
Der Sänger fuhr empor und starrte nach dem Fremden: „Der 
Geist des Stromes gab den Melden zurück," rief er entsetzt; doch gleich 
darauf sprang er vor: „Selig ist der Tag, an dem ich dich schaue, 
Held Ingo, Ingberts Sohn, du mein Retter, der letzte Kämpfer in 
der Alamannenschlacht!" 
Die Gäste fuhren von ihren Sitzen, die Halle erdröhnte vom Iubelruf. 
Der Sänger stürzte auf Ingo zu, beugte sich auf seine Hand und rief: 
„Leibhaftig halte ich dich. Niemals ward meinem Liede so schöner Lohn." 
So führte er den Fremden an den Tisch des Fürsten, der ihm mit 
nassen Augen entgegeneilte: „Gesegnet seist du, heldenhafter wann, heut 
fällt mir schwere Last vom Kerzen; ich wußte wohl, nicht läßt sich 
bergen des Melden Ruhm. Sei gegrüßt in meinem Hause, du Gast¬ 
freund aus der Väter Zeit! Rückt den Sessel, Knaben, daß der Fürst 
sich den Ldeln meines Volks geselle! Trage wein herzu, Schenk; im 
Festbecher, mit dem Römertrank aus Römergolde trinken wir Heil dem 
königlichen Melden, dem Sohn unsrer Götter!" Aus ®. Ä.eYtags „3„go". 
12. Das Hildebrandslied. 
Jk gihörta dat seggen, 
dat sih urhettun 
aenon muotin 
Hildibraht enti Hadubrant 
Ich hörte sagen, 
daß sich forderten 
allein (zu) Begegnungen 
hildibracht und hadubrand
	        
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