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An die Natur.
„Süße, heilige Natur,
laß mich gehn auf deiner Spur,
Lite mich an deiner Hand,
Vie ein Kind am Gaͤngelband!
Wenn ich dann ermüdet bin,
Sink' ich dir am Busen hin,
Athme süße Himmelslust,
Hangend an der Mutter Brust.
Ach, wie wohl ist mir bei dir!
Will dich lieben für und für!
Laß mich gehn auf deiner Spur,
Süße, heilige Natur!
Siehe auch: Bd. J, Nr. 177 (Lied eines deutschen Knaben); Nr. 412 (Der Harz).
81. Matthias Claudius.
Beb 1740 zu Reinfeld im Holstein'schen, in Göttingen dem Hainbunde befreundet; gab seit 1770
den „Wandsbecker Boten“ heraus' (Asmus omnia sua secum portans); 1788 Revisor der Holstein'⸗
R Bank in Altona. Gest. bei seinem Schwiegersohne Friedr. Perthes in Hamburg 1815. Volks—
mäßige Naivetät, schalkhafter Humor, herzinnige Frömmigkeit in seinen Liedern, äber seine Prosa
nicht obne Manier.
Erster Brief an Andres.
Werke. Originalausgabe. Gotha 1871. 4. Theil.
Du möchtest gern mehr von unserm Herrn Christus wissen. — — Andres!
wer möchte das nicht?
Aber bei mir kömmst Du unrecht. Ich bin kein Freund von neuen Meinungen
Und halte fest am Wort. So gar hasse ich das Kopfbrechen an Religionsgeheim—
lssen; denn ich denke, sie sind eben darum Geheimnisse, daß wir sie nicht wissen
sollen, bis es Zeit ist.
Wenn wir ihn nicht selbst sehen können, Andres, so müssen wir denen glauben,
die ihn gesehen haben. Mir bleibt anders nichts übrig.
Was in der Bibel von ihm steht, alle die herrlichen Sagen und herrlichen
Beschichten sind freilich nicht er, sondern nur Zeugnisse von ihm, nur Glöcklein am
Leibrock; aber doch das Beste, was wir auf Erden haben, und so etwas, das einen
wahrhaftig freuet und tröstet, wenn man da hört und sieht, daß der Mensch noch
was anders und bessers werden kann, als er sich selbst gelassen ist.
Und was in der Bibel von ihm steht, das hab ich gelesen mehr als einmal,
und nehme es, so wie es da steht, ohne zu noch ab zu thun. Willst Du also da—
bon mit mir schreiben und sprechen, so gut ich's kann und salyo meliori judicio;
bon Herzen gern! Ich weiß für mich nichts liebers und erfreulichers als von Hilfe
und Errettung, und wem's anders ist, der muß nie in Noth gewesen sein, noch
andre darin gesehen haben. Rufet doch ein Weib, das ihren verlornen Groschen
wiederfunden hat, ihren Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: „Freuet euch
mit mir, denn ich habe meinen Groschen funden, den ich verloren hatte.“ Und
was ist das für eine Noth, daraus man mit Geld errettet werden kann!
Besinnest Du Dich noch unsrer ersten Schiffahrt, als wir den neuen Kahn
probierten, und ich mitten auf dem Wasser herausfiel? — Ich hatte schon alles auf—
ben und dachte nur daran, wie mir der Tod schmecken, und was meine arme
Kutter sagen würde; da sah ich Deinen ausgereckten Arm herkommen und halte an!
und ich seh' ihn noch immer, Andres, wenn ich nur von ungefähr Deinen Namen
se oder oft nur auf ein großes A stoße. Im Grunde war Deine Hilfe nur ein
Palliatid; denn was damals ohne Dich das Wasser würde gethan haben, das werden
nun die andern Elemente noch thun, und Du wirst mich nicht retten. Aber ich kann