Full text: Für die Oberstufe der Lehrerseminare sowie zur Fortbildung für Lehrer (Band 4, [Schülerband])

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Viele Bauern kamen neugierig herbei und schauten zu. Schnell verbreitete sich von Mund 
zu Mund das Gerücht: „Der neu' Lehrer schreibt die Bäum' ab.“ 
Es neigte sich gegen Abend. Mit beruhigter Seele kehrte er heimwärts. Unterwegs schlossen 
sich ihm mehrere Bauern an; ohne viel Umstände zu machen, hielten sie gleichen Schritt mit ihm und 
hatten gar viel zu fragen. So unbequem dies dem Fremdling war, so ließ er sich's doch gefallen. 
Sehr ungeschickt aber war es, daß er auf die Frage: „Nicht wahr, es ist eine schöne Gegend hier 
herum?“ die Antwort gab: „So, so, es geht an.“ Er dachte, daß sich hier nicht viel Malerisches 
zu finden scheine, und konnte das doch nicht sagen. Da ihm die Plumpheit der Kirchturmspitze 
aufgefallen war, fragte er: „Wer hat die Kirche gebaut?“ 
Die Leute sahen ihn mit großen Augen an; sie konnten sich gar nicht denken, daß es einmal 
anders gewesen, daß es eine Zeit gegeben haben könne, da die Kirche noch nicht da war. 
Eines Tages, es war Samstag, machte der junge Mann die Besuche bei den Gemeinderäthen, 
er traf aber keinen zuhause. Er ging nun zuletzt zu dem alten Schullehrer, man wies ihn nach 
einem Garten am Wege. Er trat ein, und einen alten Mann erblickend, der hemdärmelig die 
in der Hand hielt, sagte er, indem er den Hut abzog: „Kann ich den Herrn Schullehrer 
rechen?“ 
„Das bin ich“, erwiederte der Alte, warf die Hacke weg, that die Pfeife aus dem Munde, 
griff schnell nach seinem Rocke und wollte ihn anziehen; unser Freund aber verhinderte dies. 
„Wir brauchen vor einander keine Umstände zu machen“, sagte er, „wir sind ja Collegen; 
ich bin der neue Lehrer. Sie können mir gewiß viel Anleitung geben über mein Verhalten dahier 
zu den Eltern und Kindern; ich bin hier so ganz fremd.“ 
„Nur recht streng!“ sagte der Alte. „Von dem neuen Schulwesen versteh' ich nichts, da 
fragt man die Kinder: ,Wer hat den Stuhl gemacht?‘ als wenn man das nicht schon von selber 
wüßt'; da lautieren sie hlem? wie die Stummen, es gibt gar kein ABC mehr.“ 
„Sie meinen also, recht streng?“ erwiederte unser Freund. 
„Ja. Wie die Mannen im Dorf 'rumlaufen, ist keiner da, der es nicht aus dem Salz von 
mir riegt hat, und sie haben noch heutigentags allen Respekt vor mir. Und wenn eine Lust⸗ 
barkeit im Dorfe ist, da darf man nicht den vornehmen Herrn spielen, der sich's eine Weile so 
anguckt, wie das dumme Volk auch lustig sein kann; nein, da muß man auch mitthun. Kreuz 
Himmel! Ich hab' die tollsten Streich' mitgemacht; den Balbiererstanz, den haben sie von mir 
gelernt, und den Siebensprung, den hab' ich mit meiner Greet immer vorgetanzt; es juckt mir noch 
in den Beinen, wenn ich daran denk.“ 
„Sie waren aus der Gegend, Sie konnten schon eher so etwas mitmachen.“ 
„Ich bin nicht aus der Gegend. Anno Fünf ist hier erst würtembergisch geworden, damals 
war alles vorderösterreichisch. Ich bin bei Freiburg daheim.“ 
„Sie haben wohl viel erlebt?“ 
„Das will ich meinen. Die Leut', die jetzt dreißig Jahr alt sind, die wissen gar nichts von 
der Welt, da geht alles glatt weg, wie auf der Kegelbahn. So ein Lehrer — ich mein' Euch nicht 
mit — aber was weiß denn jetzt so einer? Wo ist er in der Welt gewesen? In den Büchern ist er 
gesteckt. Da geht jetzt alles seinen geweis'ten Weg: eins, zwei, drei, Schüler, Seminarist, Lehrer. 
Ich war Soldat, ich war Musikant, ich war Schreiber auf dem Amt in vielerlei Herren Ländern. 
Ich hab' Russen und Franzosen und Sachsen und alles Teufelszeug mit durchgemacht. Ich hab' 
hier im Ort ein Buch angefangen gehabt und mit der schönsten Fraktur, und denket nur einmal, 
grad wie ich beim F bin, kommen die Teufelsfranzosen; da war's aus, die haben Fraktur mit 
einem gesprochen.“ 
Run erzählte der Alte, auf die Haue gestützt, seine zwei Hauptgeschichten: wie er nämlich 
einen Topf mit zweihundert Gulden im Keller vergraben hatte, den die Franzosen doch fanden; 
wie er im grimmkalten Winter den Pfarrer nach Elgelsthal begleitete, um einer alten Frau die 
letzte Oelung zu geben, unterwegs ihnen ein Kosacke begegnete und dem Lehrer die fuchspelzenen 
Handschuhe auszog. Er war eben an einer ausführlichen Beschreibung der Handschuhe, als es 
elf Uhr laäutete; man verließ den Garten und trennte sich. 
Am anderen Morgen erwarb sich der Lehrer viel Lob durch sein Orgelspiel. Aus einzelnen
	        
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