Full text: Für die Oberstufe der Lehrerseminare sowie zur Fortbildung für Lehrer (Band 4, [Schülerband])

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Wie Stein selbst einmal sagte, entscheidet aber in allen großen Situationen Charakter 
mehr als Geist und Wissen; denn man kann wohl anderer Geist und Wissen benutzen, 
aber den Charalter eines anderen kann man sich nicht aneignen. In Stein war eine 
Persönlichkeit erschienen, welche diese Lücken auszufüllen verhieß. In ihm lebte der Ernst 
und die Energie des Wollens, die den Gegner bis jetzt unbezwinglich gemacht; ihm fehlten 
auch die schroffen und herben Züge nicht, die einem verweichlichten Geschlechte so noththaten. 
Auch streng bis zur Härte, herrisch und leidenschaftlich konnte er sein, gleich dem korsischen 
Imperator, dem er entgegenstand; nur bezog sich all sein Thun und Wollen nicht auf 
Selbsucht und Herrschbegier, sondern es wurzelte in tiefem sittlichen Grunde. 
Konnte Napoleon trotz alles Strebens, mit den legitimen Dynastien zu verwachsen 
und die Formen des alten Despotismus herzustellen, seine durch und durch revolutionäre 
Art nie verleugnen, so war Stein, bei allen seinen kühnen, durchgreifenden Gedanken poli— 
tischer Umgestaltung, im besten Sinne des Wortes eine erhaltende Natur. Das Geschichtliche 
und Ueberlieferte war ihm ehrwürdig und er strebte es zu bewahren, so lange es noch einen 
Keim eigener Lebenskraft besaß. Von durch und durch germanischer Art, schätzte er das 
eigenthümliche Leben der Stämme und Nationen ebenso hoch, wie es von dem neuen Cäsarismus 
mßachtet und mißhandelt ward; während die moderne Staatskunst nivellierte und uniformierte, 
pflegte er mit warmem Eifer das Individuelle und Mannigfaltige im Leben; im Gegensatze 
zu der Centralisation, wie sie von Westen hergebracht ward, strebte er auf dem lebendigen 
Organismus der Gemeinden und Körperschaften die neuen politischen Ordnungen aufzubauen. 
So war er in allem der bewußte Gegner des Bonaparte'schen Staatsmechanismus und seiner 
Träger in Deutschland; die Ordnungen, die er schuf, prägten diesen deutschen Gegensatz 
gegen das Fremde bezeichnend aus. 
Schlußbemerkung. 
Proben aus den Werken hervorragender Geschichtsschreiber über die jüngsten 
Kriege des deutschen Volkes (1864, 1866, 1870— 71) zu liefern, wird einer späteren 
Zeit vorbehalten bleiben müssen; in den Bexrichten des großen Generalstabes 
ist ein quellenmäßiges Material enthalten, dessen Verarbeitung nach Erforschung der 
einschlägigen Archive die Zeit und Kraft hervorragender Historiker auf Jahre hinaus 
in Änspruch nehmen wird. Was aber die patriotische Poesie in jenen Tagen ge— 
schaffen hat, davon geben die vier Bände des vorliegenden Werkes Beispiele zur 
Genüge. Das Wort des (unbekannten) Dichters ist lautere Wahrheit: 
Wenn heut' ein Geist herniederstiege, 
Zugleich ein Sänger und ein Held, 
Ein solcher, der im heil'gen Kriege 
Gefallen auf dem Siegesfeld: — 
Nicht mehr von Deutschlands Schmach und 
Schande 
Sung' er den alten Trauersang, 
Nein, vom erwachten Vaterlande 
Das hohe Lied voll Jubelklang. 
Nicht schelten mehr und nicht verdammen, 
Nein, preisen würd' er allerwärts; 
Denn je des Auge säh' er flammen, 
Und kloͤpfen hört' er jedes Herz. 
Und eine Kuude würd' er melden 
Vom Kriegsruf, der vom Rhein erklang, 
Auf den ein ganz Geschlecht von Helden 
Gewappnet aus der Erde sprang 
Von lang'getrennten Bruderstämmen, 
An einem Tag zu fester Wehr 
Geeint, die Sündflut einzudämmen, 
Die sie bedräut vom Westen her. 
Vom Siege der gerechten Sache, 
Der den vermess'nen Feind zerbrach: 
Von einem Tag der heil'gen Rache 
Für allzu lang getrag'ne Schmach 
Von einem Volke, das gerüstet, 
Von einem schneidigen Geschlecht, 
Zu strafen jeden, den's Lelüstet, 
Zu tasten an sein gutes Recht 
Das, sonst des Friedens stille Werke 
Betriebsam schaffend früh und spät, 
In nie geahnter Riesenstärke 
Jetzt einer Welt von Feinden steht.
	        
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