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Noch war aber der hohe Nat wegen der Todesart nicht einig. Das
stand fest: ein Beispiel sollte an diesem Gesellen aufgestellt werden, wie
ein ähnliches das wühlende Geschlecht noch nicht erfahren hatte. Einige
waren für das Hangen, aber der Verbrecher hatte dafür einen Zu kurzen
und dicken Hals, es wäre der Strick abgeglitten. Andere wollten ihn
enthaupten, das fand der Rat jedoch viel zu ehrenvoll für den Schelm.
Das Verbrennen wurde zurückgewiesen, weil der Feuertod erst recht einen
glänzenden Schein um das Haupt des Verbrechers gelegt haben würde.
Als sie dergestalt uneinig waren, erhob sich ein weißlockiger, lang-
bärtiger Greis und begann unter lautloser Stille der Menge so zu reden:
„Wohlweiser Rat von Abelsberg! Hochansehnliche Versammlung! Wichtig
ist die Stunde und folgenreich die Tat, die wir zum Wohle unserer geliebten
Stadt zu vollbringen im Begriffe stehen. Es ist wohl überflüssig, daraus
hinzuweisen, daß die Maulwürfe unsere Erbfeinde sind, daß es zwischen
uns und den Maulwürfen keine Versöhnung gibt und geben kann."
Ein ungeheurer Beifallssturm unterbrach ben Redner. Selbst der
kleine Gefangene spitzte die Öhrlein und stellte sich dann höchst possier¬
lich ans seine Hinterbeine, weil er glaubte, die Leute wollten sich von
ihm ergötzen lassen und der Beifall ginge ihn an. Der Redner fuhr
endlich fort: „— Daß es zwischen uns keine Versöhnung gibt und geben
kann!" worauf sich der Beifallsjubel nochmals wiederholte.
„Werte Versammlung!" sagte der Greis mit fast mißbilligender
Miene, „der Gegenstand ist zu ernst, als daß wir ihn mit Zurufen wie
bei einer Komödie entweihen wollten. Es handelt sich darum, daß wir
an diesem Tage ein Exempel aufstellen, welches geeignet ist, das elende
Geschlecht vor Schreck stumm zu machen, wenn es nicht schon stumm
wäre, und vor Angst schwarz zu machen, wenn es diese Farbe nicht
schon hätte. Des Grauens voll, sollen sie sich sammeln in Rotten, die
Gaue von Abelsberg auf Nimmerwiedersehen verlassen, und es ihren Kindern
und Kindeskindern erzählen, was zu Abelsberg einem ihrer Genossen geschehen
ist. Nicht hängen und nicht köpfen, nicht spießen und nicht braten wollen
wir den Bösewicht. Den gräßlichsten Tod soll er sterben, der je gestorben
worden ist: der Schelm soll lebendig begraben werden!"
Rat und Volk überboten sich in Beifall. Sie führten den Käfig
hinaus auf den freien Anger, hoben den Maulwurf behutsam hervor,
und nach wenigen Minuten war das Urteil vollzogen.
165. Oie Xincier ZU Hameln. Von den Brüdern Grimm.
Deutsche Sagen. 4. Auflage, besorgt von Rein hold Steig. Berlin 1906. S. 182.
Im Jahre 1284 ließ sich zu Hameln ein wunderlicher Mann sehen.
Er hatte einen Rock von vielfarbigem, buntem Tuch an, weshalb
er Bundting soll geheißen haben, und gab sich für einen Ratten-