Sokrates
das Haus des Perikles, und die Gelegenheit, die er dadurch erhielt,
diesen großen Mann und seine Staatsverwaltung näher kennen zu lernen
und in dieser Absicht auch den Umgang mit der berühmten Aspasia,
der Juno dieses Attischen Jupiters (wie sie der alte Kratinus in einer
seiner Komödien nennt), sich zu Nutze zu machen. Aus dieser Zeit schreibt
sich auch seine Bekanntschaft mit dem berüchtigten Neffen des Perikles,
Alcibiades, her, von welchem er schon damals sehr richtig urteilte, daß
er entweder zum Heil oder zum Verderben Griechenlands geboren sei,
je nachdem sein guter oder böser Dämon die Oberhand über ihn ge⸗
winnen würde, und diese Überzeugung allein war es, was ihn bewog,
sich unter die erklärten CLiebhaber, von welchen dieser so viel Gutes und
Söses versprechende Jüngling beständig umgeben war, zu mischen und
alles Mögliche anzuwenden, um das Vertrauen desselben zu gewinnen,
die Ciebe des Schönen und Guten in ihm zu entzünden und ihm für
seine Schmeichler und Verführer Gleichgültigkeit und Verachtung ein—
zuflößen.
Er spricht mit einem jeden sehr verständig von seiner Profession und
gibt ihnen nicht selten Anleitung oder Winke, wie sie dies oder jenes
besser einrichten oder ihre Fabrikate und Kunstwerke zu einer größern
Vollkommenheit bringen könnten; benimmt sich aber so geschickt dabei,
daß er, indem er sich mit ihnen über ihre Kunst bespricht, vielmehr das
Ansehen eines Unwissenden hat, der durch bescheidene Fragen von ihnen
belehrt zu werden sucht, als eines Klüglings, der sich anmaßt den
Meistern Lehren zu geben. Er hat sich in verschiedenen Feldzügen als
einen guten Soldaten bewiesen, versteht sich auf alles, was zum Kriegs⸗
dienst zu Wasser und zu Lande gehört und weiß im VNotfall das Steuer⸗
ruder so geschickt zu führen als der erfahrenste Schiffer. Mit einem Wort:
Sokrates ist ein — tugendhafter Mann im höchsten und vollständigsten
Sinne des Wortes, und darin besteht sein eigentümlicher Charakter, Wert
und Vorzug von allen seinen Zeitgenossen. Er taugt zu allem, wozu
ein Mann taugen soll, kann alles, was jedermann können sollte, weiß
Serade so viel, als niemand ohne seinen Schaden nicht wissen kann, und
st, in jedem Verhältnis des CLebens, was man sein muß, um ein Vor—
bild für alle zu sein.
Aus Wielands „Aristipp“.
A. Bock iteraturgeschichtliches Cesebuch II.