Gottsched und die Schweizer
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Nachahmung) „rege zu machen und den Fußtapfen ihrer Natur nach⸗
zugehen“.
Mit dem Gewichte, welches die Schweizer auf echte Darstellung der
Leidenschaft legten, hing es zusammen, daß sie überhaupt in betreff des
poetischen Ausdrucks vor allem auf Kraft und Kernhaftigkeit drangen.
Sie hielten viel auf sogenannte Machtwörter, d. h. auf prägnante Aus—
drücke, denen eine sinnliche oder sonst aus dem Leben genommene Be—
deutung zugrunde liegt; sie empfahlen Ellipsen, Inversionen, Partizipien,
„die nur ein ungehirnter Kopf nicht verstehen, nur ein kaltsinniger,
langsamer Mensch umschreiben“ möge. Auch Gottsched leitete aus dem
echt Gottschedschen Grunde, weil der Poet die Absicht habe, „durch seine
Gedichte sich in hochachtung zu setzen“, den Grundsatz ab, daß er sich
folglich keiner gemeinen Ausdrücke bedienen dürfe: aber um alles müssen
sie deutlich, um alles recht natürlich sein. „Nicht nur im vorigen Jahr—
hundert,“ sagt er, „hat die Marinische Schule den dunkeln Wust in die
Dichtkunst gebracht, sondern auch itzo will uns die Miltonische Sekte von
neuem überreden, nichts sei schön, als was man kaum verstehen oder
doch mit vielem Nachsinnen und Kopfbrechen kaum erraten kann“. Ver—
kehrte Wortstellungen gelten für poetisch, und Sprachschnitzer werden
gemacht, damit die Sache ungemein aussehen solle.
Unter den deutschen Poeten drehte sich in dieser Hinsicht vor Klop⸗
stocks Auftreten der Streit vorzüglich um Haller. Die Schweizer emp—
fahlen des Candsmanns körnigen, gedankenschweren Ausdruck, während
Gottsched in ihm einen Erneuerer des Lohensteinschen Schwulstes be—
kämpfte. In Hallers berühmtem Verse:
Mach deinen Raupenstand und einen Tropfen Zeit,
Den nicht zu deinem Zweck, die nicht zur Ewigkeit.
fand man auf der einen Seite ebenso ein Muster gedankenreicher Kürze,
wie auf der andern von geschraubter Bilder⸗ und Rätselrede.
Dem Berner Dichter wie den Züricher Kritikern wurde von dem
Leipziger Professor auch die Rauhigkeit ihrer Alpensprache und mancher—
lei Provinzialismen vorgeworfen. Diese Beschuldigung war nicht unge—
gründet; in der Reinheit und Glätte der Sprache war ihnen Gottsched
entschieden überlegen, und man darf nur Bodiners und Breitingers spätere
Schriften mit den früheren vergleichen, um gewahr zu werden, wie be—
deutend sich ihr Ausdruck eben auch in der Reibung an ihrem Gegner
abgeschliffen hat. Bis zu einem gewissen Punkt erkannten sie das selber
an, aber sie urteilten, daß Gottsched mit seinem sächsischen Purismus
zu weit gehe. In Absicht auf die Aussprache, meint Bodmer, sei der
meißnischen Mundart der Vorzug zuzuerkennen; aber in bezug auf die