Gottsched und die Schweizer
kunst; wir staunten einzelne Goldsprüche dieses unschätzbaren Werks mit
Ehrfurcht an, wußten aber nicht im geringsten, was wir mit dem Ganzen
machen, noch wie wir es nutzen sollten.
Die Schweizer traten auf als Gottscheds Antagonisten; sie
mußten doch also etwas anderes tun, etwas Besseres leisten wollen:
so hörten wir denn auch, daß sie wirklich vorzüglicher seien. Breitingers
„Kritische Dichtkunst“ ward vorgenommen. Hier gelangten wir nun in
ein weiteres Feld, eigentlich aber nur in einen größeren Irrgarten, der
desto ermüdender war, als ein tüchtiger Mann, dem wir vertrauten,
uns darin herumtrieb. Eine kurze Übersicht rechtfertige die Worte.
Für die Dichtkunst an und für sich hatte man keinen Grundsatz finden
können; sie war zu geistig und flüchtig. Die Malerei, eine Kunst, die
man mit den Augen festhalten, der man mit den äußeren Sinnen Schritt
vor Schritt nachgehen konnte, schien zu solchem Ende günstiger; Eng⸗
länder und Franzosen hatten schon über die bildende Ee—
retisiert und man glaubte · nun durch ein Gleichnis von daher die Poesie
zu begründen. Jene stellte Bilder vor die Augen, diese vor die Phan⸗
tasie; die poetischen Bilder also waren das erste, was in Betrachtung
gezogen wurde. Man fing von den Gleichnissen an, Beschreibungen
folgten, und was nur immer den äußern Sinnen darstellbar gewesen
wäre, kam zur Sprache.
Bilder also! Wo sollte man nun aber diese Bilder anders hernehmen
als aus der Vatur ? Der Maler ahmte die Natur offenbar nach; warum
der Dichter nicht auch ? Aber die Natur, wie sie vor uns liegt, kann
doch nicht nachgeahmt werden; sie enthält so vieles Unbedeutende, Un—
würdige, man muß also wählen; was bestimmt aber die Wahl ? man
muß das Bedeutende aufsuchen; was ist aber bedeutend ?
Hierauf zu antworten mögen sich die Schweizer lange bedacht haben;
denn sie kommen auf einen zwar wunderlichen, doch artigen, ja lustigen
Einfall, indem sie sagen, am bedeutendsten sei immer das Neue; und
nachdem sie dies eine Weile überlegt haben, so finden sie, das Wunder—
bare sei immer neuer al— alles andere.
Nun hatten sie die poetischen Erfordernisse ziemlich beisammen; allein
es kam noch zu bedenken, daß ein Wunderbares auch leer sein könne
und ohne Bezug auf den Menschen. Ein solcher notwendig geforderter
Bezug müsse aber moralisch sein, woraus dann offenbar die Besserung
des Menschen folge, und so habe ein Gedicht das letzte Fiel erreicht,
wenn es, außer allem andern Geleisteten, noch nützlhi ch werde. Nach
diesen sämtlichen Erfordernissen wollte man nun die verschiedenen Dich—
tungsarten prüfen, und diejenige, welche die Natur nachahmte,
A. Bock, Literaturgeschichtliche⸗ Cesebuch II.