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Erster Teil. Die Zeitalter der deutschen Dichtung.
3. Ihr Türme, hoch erhoben
In freier Himmelsluft,
So zauberisch umwoben
Von blauem Wolkenduft,
4. Wie habt ihr oft gerufen
Die andachtsvolle Schar,
Wenn an des Altars Stufen
Das Heil zu finden war.
5. Die Wetter oft sich brachen
Vor euerm Glockenklang;
Nun führt ihr andre Sprachen,
Es klingt wie Brautgefang!
6. Das Land ist aufgestanden
Ein herrlich Osterfest —,
Ist frei von Sklavenbanden;
Die hielten nicht mehr fest!
7. Wo, Tod, find deine Schrecken,
O Hölle, wo dein Sieg!
Und Satan, wie dich decken
In diesem heil'gen Krieg!
8. Beschritten ist der Grenze
Geweihter Zauberkreis,
sticht mehr um Eichenkränze
Ficht Jüngling nun und Greis.
9. Nun gilt es um das Leben,
Es gilt nms höchste Gut;
Wir fetzen dran, wir geben
Mit Freuden unser Blut.
10. Du liebende Gemeine,
Wie sonst am Tisch des Herrn
Im gläubigen Vereine,
Wie fröhlich strahlt dein Stern!
11. Wie lieblich klingt, wie heiter
Der Losung Bibelton:
Hie Wagen Gottes, Gottes Reiter,
Hie Schwert des Herrn und Gideon!
l>. Nachwirkungen der klassische» Zeit.
94—98. Die schwäbischen Dichter.
94* Ludwig Uhlarid,
geb. ant 26. April 1787 zu Tübingen als Sohn eines Universitätssekretärs, kain schon
mit 15 Jahren auf die Universität, um Jura zu studieren, zeigte aber eine ausgesprochene
Neigung für die Germanische Philologie. Nach bestandenem Examen ging er nach Paris,
wo er sich weniger mit dem Code Napoleon als mit altfranzösischer Dichtung beschäst
tigte. Eine ganze Reihe von Gedichten ist aus diesen Studien hervorgegangen. Zu seinem
Bedauern konnte er an dem Freiheitskampf gegen Frankreich nicht teilnehmen, doch hat
auch er als Süddeutscher sich in die Reihe der norddeutschen Freiheitssänger gestellt.
Aus dem Staatsdienst, dem er l*/a Jahre angehört hatte, trat er aus, um mehr Zeit für
seine Studien zu gewinnen. 1820 verheiratete er sich. 1830 wurde er als außerordeut
licher Professor der deutschen Sprache und Literatur nach Tübingen berufen. Ein poli
tischer Zwiespalt mit der Regierung veranlaßte ihn, schon 1833 sein Amt niederzulegen,
was ihm tief schmerzlich war. Auch seine Beteiligung an den Unruhen des Jahres 1818
brachte ihm keinen Segen, keine innere Befriedigung. Er zog sich daher von dem öffeiw
lichen, insbesondere politischen Leben ganz in den Frieden des Hauses, der Wissenschaft
und der Dichtkunst zurück. Sein Alter war mit körperlicher und geistiger Rüstigkeit ge¬
segnet. Im Februar 1862 erkrankte er infolge einer Erkältung beim Begräbnisse Kerners
und starb am 13. Nov. — Kaum ein deutscher Dichter ist mit seinen Liedern so in alle
Schichten des Volkes eingedrungen wie Uhland. Das macht, er traf den Volkston, und
die Form sehr vieler seiner Gedichte wie der Inhalt waren für eine musikalische Bear¬
beitung wie geschaffen. Kein Dichter ist daher in Volksschullesebüchern und Volkslieder
büchern so zahlreich vertreten wie er. Sein Bestes hat er auf dem Gebiete der epischeu
Poesie geleistet, und wird er hier nur von Schiller übertroffen. Als Dramatiker („Ernst,