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Sie trägt nun in ihrer Mitten
Von Zweigen die Totenbahr'.
Und auf der Bahre von Zweigen
Da ruht ein sterbender Held;
6 Ihn trugen die Kameraden
Herüber vom Leichenfeld.
Sie betten ihn unter die Tanne,
Sie lehnen ihn sanft an sie an;
Es wölben die hängenden Äste
io Sich über den sterbenden Mann.
Des Abendrots purpurne Strahlen
Mit ihrem verklärenden Schein,
Sie leuchten so mild durch die Zweige
Ins Antlitz des Helden hinein;
'b Er richtet das'Auge nach oben —
Da hat er die Tanne erkannt,
Wo einstmals als blühender Knabe
Mit seinen Gefährten er stand.
„£) Traum meiner kindlichen Spiele,
Wie bist du so schmerzlich erfüllt,
Wie ist mir das glühende Sehnen
Der mutigen Seele gestillt! —
Fürs Vaterland bin ich gefallen;
Doch nun ist der Tod mein Gewinn;
Die Freiheit, sie ist nicht errungen,
Und alles verloren, dahin! —
Bestattet mich unter der Tanne,
Grabt tief, Kameraden, mich ein;
Wo alles im Lrben verloren,
Jst's besser, dort unten zu sein! “ —
Da schaute sein brechendes Auge
Noch einmal zur Tanne hinauf,
Ihm leuchtet die sinkende Sonne
Zur ewigen Freiheit hinauf.
Es säuselt der Wind in den Zweigen,
Sie senken sich trauernd herab
Und flüstern zusammen und neigen
Sich über des Helden Grab.
2» 182. Luise v. Plönnies (geb. Leisler).
Geb. am 7. Novbr. 1803 zu Hanau; vennählt mit dem Medizinalrat v. Plönnies in Darmstadt;
lebte seit 1847 verwitwet in Jugenheim an der Bergstraße in ländlicher, zurückgezogener Stille.
Gest. am 22. Januar 1872 zu Darmstadt, wohin, sie sich seit 1860 wieder gewandt hatte. ,Lilien
auf dem Felde'. Treffliche Übersetzerin englischer Lyrik.
25 (Siehe auch: Bd. II, Nr. 136, S. 313 (Die Trauerweide).)
Wie Raemi vom Lande der Moabiter scheidet.
Ruth. Gotha 1869. S. t.
Zu einem Grabe, welches dicht
Umwob der Wildnis grüner Schmuck,
so Kam Naemi im Morgenlicht:
Schwer lag auf ihr des Kummers Druck,
Sie warf sich auf dem Hügel nieder,
Von ihrem heißen Schmerz bezwungen,
Und als sie lang' mit ihm gerungen,
35 Gab endlich ihre Seele nach,
Und ihre Tränen flössen wieder,
Als im Gebet sie also sprach:
„Laß mein Flehen dich erreichen,
Herr! im Staube knie' ich hier.
*o Du, der Zedern beugt und Eichen,
Hast gebeugt die Seele mir.
Sieh nun, wie mein Herz verzagt,
Hilf der Schwachheit deiner Magd!
Zehn der Jahre sind vergangen,
'0 Seit, von blinder Angst befangen,
Wir in unsrer Selbstsucht Wahn
Zogen aus von Kanaan.
Ach, des schwachen Menschen Wille
Sät sich selbst die Schmerzenssaat,
Wenn er in geduld'ger Stille
Nicht sich beuget deinem Rat.
Elimelech wollte sich
Seines Landes Not entziehen,
Nur zu gern bereit war ich,
Meines Volkes Leid zu fliehen,
Mich von Israel zu scheiden,
Auszuwandern zu den Heiden.
Stolz wie eine Königin,
Mit dem Mann, dem starken, schönen,
Mit den beiden jungen Söhnen,
Zog ich meine Straße hin.
Mit Kamelen, reich beladen,
Mit der Diener langer Scbar,
Zog ich aus auf fremden Pfaden,
Zu entrinnen der Gefahr.
Gott der Herr ließ unser Treiben
Zu, um nach geringer Frist
Uns ins wunde Herz zu schreiben:
Daß er selber König ist.
Mann und Söhne, die den Stab
Stolz ergriffen, um zu wandern,