Full text: Für die Präparandenanstalt (Teil 1, [Schülerband])

Prosa. B. Märchen. 
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möglich zu reiten; indem er beständig nach seinen Verfolgern umblickt, hält er 
sich auf Schußweite von ihnen entfernt; dringen sie auf ihn ein, so beschleunigt 
er seine Bewegung; bleiben sie zurück, so verkürzt er die Gangart des Tieres; 
halten sie an, so reitet er Schritt. In dieser Art geht die Jagd fort, bis die 
glühende Sonnenscheibe sich gegen Abend senil; da erst nimmt er alle Kräfte 
seines Rosses in Anspruch; er lehnt sich vorn über, stößt die Fersen in die 
Flanken des Tieres und schießt mit einem lauten Ballah! davon. Der feste 
Rasen erdröhnt unter dem Stampfen der kräftigen Hufe, und bald zeigt nur 
noch eine Staubwolke den Verfolgern die Richtung an, in welcher der Araber 
entfloh. 
Hier, wo die Sonnenscheibe fast senkrecht zum Horizont hinabsteigt, ist 
die Dämmerung äußerst kurz, und bald verdeckt die Nacht jede Spur des 
Flüchtlings. Die Türken, ohne Lebensmittel für sich, ohne Wasser für ihre 
Pferde, finden sich wohl zwölf oder fünfzehn Stunden von ihrer Heimat ent¬ 
fernt in eurer ihnen ganz unbekannten Gegend. Was war zu tun als — 
umzukehren und dem erzürnten Herrn die unwillkommerre Botschaft zu bringen, 
daß Roß und Reiter unb Geld verloren. Erst anr dritten Abend treffen sie 
halb tot vor Erschöpfung unb Hunger, mit Pferden, die sich kaum rroch schleppen, 
in Mardin wieder ein; ihnen bleibt nur der traurige Trost, über dieses neue 
Beispiel vor: Treulosigkeit eures Arabers zu schimpfen, wobei sie jedoch ge¬ 
nötigt sind, dem Pferde des Verräters alle Gerechtigkeit widerfahren zu taffen 
und einzugestehen, daß ein solches Tier rächt leicht zu teuer bezahlt werden 
karrn. 
Arrr folgenden Morgen, als eben der Imam zum Frühgebet ruft, hört 
der Pascha Hufschlag nrrter feinen Fenstern, und in ben Hof reitet ganz harmlos 
unser Scheich. „Sidi!" ruft er hiirauf, „Herr! willst du betn Geld oder mein 
Pferd?" 
B. 
19. Der Bärenhäuter. 
Von Gebr. Grimm. 
„Kinder- und Hausmärchen." Leipzig, Reclam jun. 
Es war eirrmal ein junger Kerl, der ließ sich als Soldat anwerben, hielt 
sich tapfer und war immer der vorderste, wenn es blaue Bohnert regnete. 
Solarrge der Krieg dauerte, ging alles gut; aber als Friede geschlossert war, 
erhielt er feinen Abschied, und der Hauptmann sagte, er könnte gehen, wohin 
er rvollte. (Seine Eltern waren tot, unb er hatte keine Heimat mehr, da girrg 
er zrr seinen Brüdern und bat, sie möchten thut so lange Uräerhalt geberr, bis 
der Krieg wieder anfinge. Die Brüder aber waren hartherzig und sagten: 
„Was sollen wir mit dir? Wir können dich rächt braucherr; sieh zu, wie du dich 
durchschlägst." Der Soldat hatte rrichts übrig als fein Gewehr, das nahm
	        
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