Object: Deutsches Lesebuch für die weibliche Jugend

Erste Gruppe. 
4. Johann Gulenberg. 
Körper und Stimme leiht die Schrift dem stummen Gedanken; 
Durch der Jahrhunderte Strom trägt ihn nnd Blatt. 
Drei Hauptstufen der Entwickelung giebt es in der Geschichte des 
menschlichen Geistes, und jede der folgenden bezeichnet gegen die frühere 
einen gewaltigen Fortschritt: das Sprechen, das Schreiben, das 
Drucken. Duͤrch das stufenmäßige Fortschreiten mittels Sprache, Stift 
und Druck ward der Mensch immer mehr zu dem befähigt, was sein 
eigenstes Privilegium, was die Grundbedingung seiner Vervollkommnung 
bildet, zur Gedankenmitteilung. Das lebendige Wort, offenbar das 
natürlichste Mittel zum Austausch der Gedanken, ist aber zugleich auch 
das mangelhafteste in Bezug auf Sicherheit für die Zukunft. Von 
Mund zu Mund, von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanzt, verändert 
und verwischt sich das ursprüngliche Gepräge der ersten Mitteilung 
mehr und mehr, bis endlich die Kunde ganz in Vergessenheit gerät, 
oder bis selbst das größte Ereignis höchstens als dunkle Sage noch 
fortklingt. Darum haben wir auch der mündlichen Überlieferung so 
wenig Thatsächliches aus der Vorzeit, selbst aus der unseres eigenen 
Volkes, zu verdanken. 
Einzelne Völker nun erfanden, entweder unabhängig von einander 
oder von einander beeinflußt, Schriftsysteme, die sich bei ihrer Verbreitung 
über die Erde mannigfach veränderten. 
Wer kann sagen, wie lange die Menschen schon die Schreibkunst 
übten, ehe einer auf die kühne Idee kam, ein ganzes Buch zu schreiben? 
Die ersten litterarischen Unternehmungen waren sicherlich Niederschriften 
von durch mündliche Fortpflanzung erhaltenen Gedichten und Sagen. 
Zu öffentlichen Zwecken diente uͤbrigens die Kunst der graphischen Mit⸗ 
seilung schon frühzeitig; man grub Regententafeln, Gesetze, Siegesnach⸗ 
richten in Stein oder Erz, druckte sie mit Stempeln in Thon ein, ritzte 
sie in Wachstafeln. Bei steigender Kultur schrieb man auf Papyrus 
oder auf Pergamentrollen, und bei den Persern, Ägyptern und anderen 
alten Vollern waren Beamte angestellt, welche die Reichsannalen zu 
Henschke, Lesebuch.
	        
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