fullscreen: Oberstufe: Erster Kursus (Teil 5, [Schülerband])

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zieht die aus langen Tannendielen zusammengenagelten kleineren Schiffe 
ans Land. Auf Wagen muß er sie laden und die Waren, welche er 
über den Bodensee aus Konstanz, Lindau, Bregenz nahe bei der para¬ 
diesischen Insel Mainau vorüberbrachte, um nicht durch das entfesselte 
Element, dem er bis dahin vertraute, bei Lausten Tod und Vernichtung 
zu empfangen. 
Wohl gegründet ist die Besorgnis des Schiffers; denn schon vor der 
Prächtigen Brücke bei Schaffhausen wird das Bett des Stromes abschüssig, 
und seine Flut, je näher dem Sturze, desto reißender; unzählige, theils 
verborgene, theils hervorragende Klippen zerspalten die schäumenden 
Wellen, bis sie an der mehr als zwanzig Meter hohen, steilen Felsen¬ 
wand hinunterstürzen. 
Hast du nur einmal dieses Wunder der Natur gesehen, nimmer 
entflieht es deiner Erinnerung; denn du siehst so Großes und Erhabenes, 
wie keine menschliche Zunge auszusprechen im Stande ist, wie keine 
Kunst zu erreichen vermag. Hier weide dich an dem Anblick dieses 
ungeheuren Gewölbes von Schaumwogen, dieser donnernden Flutenmasse, 
welche kochend und zischend in den Abgrund dahinstürzt. 
Hier aber ist das Jugendleben des Stromes zu Ende, der Mensch 
darf ihm mehr vertrauen, sein Gang ist gemäßigter geworden; er geht 
nun, nachdem er noch einige Male wie in Gedanken versunken in seine 
früheren Launen verfiel, in seiner ruhigen Größe, wie ein König in 
seiner Majestät, segnend und gesegnet seinen Lebensweg, besungen von 
einem kunstsinnigen und regsamen Volke, welches nie den deutschen Sinn 
verleugnete, von Rebhügeln und grünen Matten umkränzt, mit stattlichen 
Schlössern geschmückt, von ehrwürdigen Domen gegrüßt, von Städten, 
jugendmutig in ihrem Alter, gesegnet, von den reichen Boten der Ge¬ 
birge, den herrlichsten Flüssen getränkt; denn die Aar nimmt die Brüder 
und Schwestern der deutschen Schweiz auf in ihren Fluten, um sie dem 
Gewaltigsten, dem Rheine zuzuführen. So läßt der älteste und größte 
Teil des deutschen Landes den Vielbesungenen grüßen und führt ihm 
allerlei herrliche Gaben zu. Alles ihm links liegende deutsche Land 
erkennt seine Herrschaft. Es schickt durch die Jll, Nahe, Mosel mit 
Saar den schuldigen Tribut; rechts huldigt ihm Schwaben durch die 
Kinzig und den Neckar, Ostfranken durch den Main, Hessen durch die 
Lahn, Altsachsen durch die Ruhr und Lippe. So reichen sich in ihm 
die Vogesen und der Schwarzwald, die Hardt und der Odenwald, der 
Hunsrück und der Taunus, Franken, Schwaben und Lothringen die 
Hände zum unauflöslichen Bunde. 
Das ist der Rhein, an dessen Wiege die freien Schweizer wohnen, 
an dessen Mündungen ein eben so freies als reiches, kunstsinniges und 
gewerbfleißiges Volk seine schwimmenden Häuser baut, welche die fernsten 
Länder verbinden und die weitesten Meere durchschiffen. Wo ist der
	        
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