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zieht die aus langen Tannendielen zusammengenagelten kleineren Schiffe
ans Land. Auf Wagen muß er sie laden und die Waren, welche er
über den Bodensee aus Konstanz, Lindau, Bregenz nahe bei der para¬
diesischen Insel Mainau vorüberbrachte, um nicht durch das entfesselte
Element, dem er bis dahin vertraute, bei Lausten Tod und Vernichtung
zu empfangen.
Wohl gegründet ist die Besorgnis des Schiffers; denn schon vor der
Prächtigen Brücke bei Schaffhausen wird das Bett des Stromes abschüssig,
und seine Flut, je näher dem Sturze, desto reißender; unzählige, theils
verborgene, theils hervorragende Klippen zerspalten die schäumenden
Wellen, bis sie an der mehr als zwanzig Meter hohen, steilen Felsen¬
wand hinunterstürzen.
Hast du nur einmal dieses Wunder der Natur gesehen, nimmer
entflieht es deiner Erinnerung; denn du siehst so Großes und Erhabenes,
wie keine menschliche Zunge auszusprechen im Stande ist, wie keine
Kunst zu erreichen vermag. Hier weide dich an dem Anblick dieses
ungeheuren Gewölbes von Schaumwogen, dieser donnernden Flutenmasse,
welche kochend und zischend in den Abgrund dahinstürzt.
Hier aber ist das Jugendleben des Stromes zu Ende, der Mensch
darf ihm mehr vertrauen, sein Gang ist gemäßigter geworden; er geht
nun, nachdem er noch einige Male wie in Gedanken versunken in seine
früheren Launen verfiel, in seiner ruhigen Größe, wie ein König in
seiner Majestät, segnend und gesegnet seinen Lebensweg, besungen von
einem kunstsinnigen und regsamen Volke, welches nie den deutschen Sinn
verleugnete, von Rebhügeln und grünen Matten umkränzt, mit stattlichen
Schlössern geschmückt, von ehrwürdigen Domen gegrüßt, von Städten,
jugendmutig in ihrem Alter, gesegnet, von den reichen Boten der Ge¬
birge, den herrlichsten Flüssen getränkt; denn die Aar nimmt die Brüder
und Schwestern der deutschen Schweiz auf in ihren Fluten, um sie dem
Gewaltigsten, dem Rheine zuzuführen. So läßt der älteste und größte
Teil des deutschen Landes den Vielbesungenen grüßen und führt ihm
allerlei herrliche Gaben zu. Alles ihm links liegende deutsche Land
erkennt seine Herrschaft. Es schickt durch die Jll, Nahe, Mosel mit
Saar den schuldigen Tribut; rechts huldigt ihm Schwaben durch die
Kinzig und den Neckar, Ostfranken durch den Main, Hessen durch die
Lahn, Altsachsen durch die Ruhr und Lippe. So reichen sich in ihm
die Vogesen und der Schwarzwald, die Hardt und der Odenwald, der
Hunsrück und der Taunus, Franken, Schwaben und Lothringen die
Hände zum unauflöslichen Bunde.
Das ist der Rhein, an dessen Wiege die freien Schweizer wohnen,
an dessen Mündungen ein eben so freies als reiches, kunstsinniges und
gewerbfleißiges Volk seine schwimmenden Häuser baut, welche die fernsten
Länder verbinden und die weitesten Meere durchschiffen. Wo ist der