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Loch im Ärmel. Zwei Nadelstiche zu rechter Zeit bessern alles, ohne Mühe,
ohne Kunst. Man lasse nur das Loch nicht größer werden; sonst braucht man
für das Kleid den Schneider, für die Gesundheit den Arzt, für die moralischen
Löcher die strafende Obrigkeit. — Es giebt nichts Unbedeutendes und Gleich⸗
gültiges, weder im Guten, noch im Bösen. Wer das glaubt, kennt sich und das
Leben nicht. Mein Prinzipal hatte auch ein abscheuliches Loch im Ärmel, nämlich
er war rechthaberisch, zänkisch, despotisch, launenhaft; das brachte mir oft Ver—
druß. Ich widersprach; da gab's Zank. Holla, dachte ich, es könnte ein Loch
im AÄrmel geben und ich ein Zänker und gallsüchtig und unverträglich, wie der
Herr Prinzipal werden. Von Stunde an ließ ich den Mann recht haben; ich
begnügte mich, Recht zu thun und bewahrte meinerseits den Frieden.
Als ich ausgelernt hatte, trat ich in andere Kondition. Gewöhnt, mit
wenigen Bedürfnissen des Lebens froh zu sein (denn wer viel hat, ist nie ganz
froh), sparte ich manches. Gewöhnt, mir kein Loch im Armel zu verzeihen,
schonend aber über dasjenige an fremden Ärmeln wegzusehen, war alle Welt
mit mir zufrieden, wie ich mit aller Welt. — So hatie ich beständig Freunde,
beständig Beistand, Zutrauen, Geschäfte. Gott gab Segen. Der Segen liegt im
Rechtthun und Rechtdenken, wie im Nußkern der fruchttragende hohe Baum.
So wuchs mein Vermögen. Wozu denn? fragte ich; du brauchst ja nicht
den zwanzigsten Teil davon. — Prunk damit treiben vor den Leuten? — Das
ist Thorheit. Soll ich in meinen alten Tagen noch ein Loch im Ärmel auf—
weisen? — Hilf andern, wie dir Gott durch andre geholfen. Dabei bleibt's.
Das höchste Gut, das der Reichtum gewährt, ist zuletzt Unabhängigkeit von den
Launen der Leute und ein großer Wirkungskreis. — Jetzt, Kontad, gehe auf
die hohe Schule, lerne etwas Rechtes; denke an den Mann mit der schneeweißen
Perücke; hüte dich vor dem ersten kleinen Loch im Ärmel; mach's nicht, wie mein
Kamerad Albrecht. Er ward zuletzt Soldat und ließ sich in Amerika totschießen.
92. Die Pfeise.
Benjamin Franklin.
Ich war noch ein Kind, in meinem siebenten Jahre, als meine Verwandten
mir an einem Festtage die Tasche mit Pfennigen fuͤllien. Sogleich ging ich in
einen Laden, wo man Spielzeuge für Kinder verkaufte. Der Ton einer Pfeife
aber, die ich im Vorbeigehen in der Hand eines anderen Knaben sah, entzückte
mich dergestalt, daß ich ihm freiwillig für dieses einzige Stück meine ganze Bar—
schaft anbot. Nun ging es nach Hause, wo ich pfeifend durch alle Wintel zog,
sehr vergnügt über meine Pfeife, aber der ganzen Familie damit zur Last. Da
meine Schwestern, Brüder und Vettern hörten, was für einen Tausch ich getroffen
hätte, so versicherten sie mir, ich hätte viermal mehr für das Ding gegeben, als
es wert sei. Nun fiel mir ein, was für schöne Sachen ich für das übrige Geld
hatte kaufen können, und sie lachten mich so sehr über meine Einfalt aus, daß
ich vor Verdruß anfing zu weinen; die Reue machte mir nun mehr Ärger, als
die Pfeife mir Vergnügen gemacht hatte. Da dies aber ewig bleibenden Eindruck
auf mich machte, so ward mir's in der Folge sehr nützlich. Oft, wenn ich in
Versuchung kam, mir etwas Unnötiges zu kaufen, sagte ich zu mir selbst: Gieb
nicht zu viel für die Pfeife! und so sparie ich mein Geld. Als ich groß
ward, in die Welt trat und die Handlungen der Menschen beobachtete, glaubte
ich oft, sehr oft auf Leute zu treffen, die zu viel für eine Pfeife gaben. Sah
ich einen Menschen, der ängstlich nach Gunst strebte und der für sie seine Zeit
in Vorzimmern, seine Ruhe, seine Freiheit, seine Tugend und vielleicht seine
Freude aufopferte, so sagte ich zu mir selbst: Dieser Mann giebt zu viel für