Full text: Deutsches Lesebuch für Lehrer- und Lehrerinnen-Seminare

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Den Anfang des Herbstes müssen wir in die Zeit setzen, wo der Laubfall 
anfängt, die Wipfel sich merklich lichten, wobei aber die zufällige Witterung 
steis von beschleunigendem oder verzögerndem Einflusse sein wird. 
Einen wesentlichen Charakter des Herbstes müssen wir aber vor allem in 
der Bildung der Knospen der Bäume finden. Dadurch wird er zum Vater des 
kommenden Lenzes. Wenn wir die festen, rotwangigen Kugeln des Apfelbaumes 
geerntet haben, so fallen ihnen dann die Blätter bald nach, und neben ihrer 
verlassenen Stelle am Zweige steht die Knospe, die Anlage zu einer neuen Frucht 
im naächsten Jahre. Die von der süßen Last zu Boden gezogenen Zweige richten 
sich erleichtert wieder empor, und das geübte Auge unterscheidet dann schon von 
weiten von dem noch fruchtbeladenen Baume den entleerten, auch wenn am 
ersteren die Früchte nicht sichtbar sind. 
153. Der Winter. 
Christ. Kaspar Lorenz Hirschfeld. 
Sie sind verschwunden, die reizenden Tage, und hinterlassen uns außer dem 
süßen Andenken, sie genossen zu haben, nichts als Bilder der Vergänglichkeit. 
Wie hat sich die ganze Gestalt der Natur verändert, und wie traurig blickt die 
Sonne aus trüben Wolken über Gärten hin, wo keine Blume mehr blüht, über 
Felder, wo keine Spur der Ernte mehr ist, und über Hügel, wo der dürre 
Rest des Grases verblichen ist! In der Luft ist das Konzert der Vögel ver⸗ 
stummt, und ihre Stille wird etwa nur von dem Gekrächze der Krähen, oder 
von dem Geschrei der Zugvögel unterbrochen, die wärmeren Gegenden entgegen⸗ 
fliegen. Die Wälder erheben überall ihre falben Häupter, und stürmische Nord⸗ 
winde entkleiden sie wieder von den Decken, die ihnen der Frühling gab, treiben 
die abgerissenen Blätter weit von den Ästen weg, deren Schmuck sie waren. Die 
Berge umher stehen oͤde, von keinen Herden mehr besucht und von keinem Geblöke 
mehr belebt; auf ihren sonnigten Abhängen trauert der beraubte Weinstock, und 
kein Jauchzen der Winzer läßt sich mehr hören. Die Beete der Gärten liegen 
zerstört; die Bäume haben ihre Früchte abgeliefert, und die Weichlinge unter 
den Geschlechtern der Blumen verschließen sich wieder in gewärmte Gewächshäuser. 
Wie traurig liegt die weite Landschaft vor mir, worin jede helle Farbe ver⸗ 
blichen, und der Hauptschmuck des Feldes, das Grün, in ein mattes Gelb über— 
gegangen ist, und überall die Spuren der Vergänglichkeit erscheinen! Ein dicker 
Nebel ist der Gefährte des Morgens, und langsam steigt der Tag durch die 
Frühstunden, wie auf Stufen, zur Heiterkeit empor, wenn ihm noch eine Heiter— 
keit vergönnt ist. 
Allmählich beeisen sich die Ufer; jede Nacht erweitert das Gebiet des Frostes; 
der Strom wird langsamer und das Rauschen dumpfer; die schwimmenden Eis— 
klumpen stoßen aneinander, verbinden sich und überdecken das Wasser von einem 
Strande zu dem anderen, wie mit einem krystallenen Pflaster, unter welchem 
der Fluß unbemerkt dahinschleicht, oder unwillig in leisen Klagen murmelt. Und 
was für schöne Schauspiele giebt der Frost dem Auge! Der See gleicht einem 
glatten, bläulichten Spiegel, auf welchen das Morgenlicht blitzt, ohne ihn zu 
durchwärmen. Eine sanfte Brechung der Strahlen und ein ergötzendes Spiel 
der Farben erscheint auf der hellen Fläche. Bald malt die Sonne auf dem Eise 
ihr Bild als eine glänzende Scheibe; bald läßt sie den ganzen krystallenen See 
in einem roten Feuer brennen, daß das Auge kaum die Blendung ertragen kann. 
An jener Seite schwärmt die Jugend des Dorfes auf dem Eise umher; ein 
Haufe schwebt auf wnenden Schlunschuhen im geschickten Gleichgewichte so schnell 
wie der Flug des Pfeiles umher, macht hier eine hurtige Wendung und fliegt
	        
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