Full text: Deutsches Lesebuch für Lehrer- und Lehrerinnen-Seminare

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vorgegangen sei. Julchen, die sich um nichts als ihr Spiel bekümmert hatte, 
wußte auf die wenigsten Fragen zu ntwonen, und gleichwohl sollte sie doch 
mworten. Es wurde ihr mit Fragen so lange zugesetzt, bis sie eine Antwort 
habh Notwendig mußte sie dieselbe erdichten. 
Mun vist du in der Ober- oder Unterstube gewesen? 
d . In der Oberstube. 
Jun ¶ Za hast wohl Karolinchens Mama gesehen? 
Julejen. Ja, sie war da. 
Rumen. Wie war sie denn angezogen? 
Julchen. Il Ich habe nicht Achtung gegeben. 
Munern. Rund Du wirst doch woͤhl gesehen haben. Hatte sie denn 
Kaltun oder ein leinen Zeug an? 
Julchen. Ich denke Kattun. 
Muner. Was das für ein albernes Mädchen ist! ich denke Kattun! — 
Weißt du es denn nicht gewiß? 
Julchen. Ja, nun befinne ich mich, es war Kattun. 
Mutter. Hatte der Kattun dunklen Grund? 
Fulchen. Ja, recht dunklen Grund. 
Mumler. Var er großblümicht oder kleinblümicht? 
Julchen. Kleinblümicht. 
Mumer. Hast du nicht gerochen, was sie in der Küche zubereiteten? 
Julchen. Es roch mir wie Hasenbraten. 
„Mutter. Da werden sie wohl Zuspruch bekommen. Hat dir Karolinchen 
nicht gesagt, wer diesen Abend zu ihnen kommen wird? 
Julchen. Nein! Ich habe sie nicht gefragt. 
Mutter. Du bist doch ne rechte Gans. Denk, wenn ich sollte Braten 
riechen, und sollte nicht fragen, was man für Besuch erwartete! — Sagte denn 
Karolinchen nichts von ihrem Herrn Paten. 
Julchen. Ja, es ist mir so. 
Munen: Zet wird wohl diesen Abend hinkommen! 
Julchen. Ja, nun fällt es ir n, der kommt diesen Abend hin. 
Von alle diesem war uun gar nichts wahr. Julchen schien nicht die 
geringste Anlage zur Lügenhaftigkeit zu haben; aber die witzige Mutter wußte 
sie doch so herumzuholen, daß sie lügen mußte. Sie brachte es auch hierin, 
r großen Freude der Mama, sehr weit. In der Folge ließ sie sich gar nicht 
ange mehr fragen, sondern erzählte, so oft sie in einem Hause gewesen war, 
m sie den Mann und die Frau angetroffen, Pie es in der Putzstube und in 
8 Küche ausgesehen habe, was gekocht und gebraten worden, was für Personen 
aselbst ein und ausgegangen seien. Von ihren Erzählungen war oft nicht 
ein Wort wahr. 
XVI. Vergleiche und Varallelen. 
173. Schwerk und Zunge. 
Franz Linnig. 
Unter allen Fähigkeiten, mit denen Gott den Menschen so reichlich aus— 
Pen hat, ist unstreitig die höchste und koscharste die Faͤhigkeit der Rede, die 
ch bis zu dem Grade der Ausbildung und Vollkommenheii steigern läßt, daß 
ihle Macht, die Macht des Worles oder der Zunge, der Gewalt der Waffen
	        
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