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Jakob Breitinger
Erkenntnis der Wahrheit beruhet, in keinem Widerspruch stehet.
Das Unmögliche und sich selbst Widersprechende hat auch in der
Macht des Schöpfers keinen Grund der Wahrheit, und der menschliche
Verstand kann solches keinesweges begreifen. Also ist unmöglich, daß
etwas zugleich sein und nicht sein, so und anderst sein könne; daß
etwas ohne einen zureichenden Grund seiner Würklichkeit sein könne;
daß ein Teil so groß sei als sein Ganzes; daß zwo grade Zahlen
mit einander verbunden eine ungrade Zahl ausmachen, und so fort. 70
Was mit diesen und anderen dergleichen sich selbst beweisenden Grund¬
sätzen streitet, das ist eine offenbare Lüge. . . .
Das Unwahrscheinliche in der Poesie hat allemal eine Möglichkeit,
schlechterdings zu reden, die in der Macht des Schöpfers der Natur
gegründet ist; es ist unwahrscheinlich und unmöglich alleine in Absicht
auf gewisse ausgesetzte Bedingungen und Umstände, mit und in welchen
es vorkömmt, wenn es mit denselben in einem Widerspruch stehet, ob
es gleich unter andern Bedingungen und in andern Umständen nicht
unmöglich wäre. . . .
Da nun die Poesie eine Nachahmung der Schöpfung und der 80
Natur nicht nur in dem Würklichen, sondern auch in dem Möglichen
ist, so muß ihre Dichtung, die eine Art der Schöpfung ist, ihre
Wahrscheinlichkeit entweder in der Übereinstimmung mit den gegen¬
wärtiger Zeit eingeführten Gesetzen und dem Laufe der Natur gründen
oder in den Kräften der Natur, welche sie bei andern Absichten nach
unsern Begriffen hätte ausüben können. Beidemal bestehet die Wahr¬
scheinlichkeit darin, daß die Umstände mit der Absicht übereinstimmen,
daß sie selber in einander gegründet sein und sich zwischen denselben
kein Widerspruch erzeige. Was die Erdichtung und Aufstellung ganz
neuer Wesen und neuer Gesetze anbelanget, so hat der Poet diesfalls 90
eine große Vorsicht und Behutsamkeit zu gebrauchen, daß das Wunder¬
bare nicht ungläublich werde und allen Schein der Wahrheit verliere.
Er muß darum seine Freiheit zu erdichten wenigst nach dem Wahne
des größten Haufens der Menschen einschränken und nichts vor¬
bringen, als was er weiß, daß es schon einigermaßen in demselben
gegründet ist. . . .
Das Wahrscheinliche muß demnach von der Einbildung beurteilet
werden, und die Grundsätze, auf welche diese ihr Urteil gründet, sind
folgende: I. Was durch glaubwürdige Zeugen bestätigt wird, das kann
74 schlechterdings, einfach und klar. 75 alleine in Absicht ff., nur
in bezug auf einige festgesetzte, bestimmte Bedingungen.