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Jobarm 6ottfried Herder
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zur politischen Ruhe; die Lebens- und Denkart legte ihr rauschendes
Feuer ab; der Gesang der Sprache floß lieblich von der Zunge
herunter wie dem Nestor des Homers und säuselte in die Ohren.
Man nahm Begriffe, die nicht sinnlich waren, in die Sprache; man
nannte sie aber, wie von selbst zu vermuten ist, mit bekannten sinn¬
lichen Namen; daher müssen die ersten Sprachen bildervoll und
reich an Metaphern gewesen sein.
Und dieses jugendliche Sprachalter war bloß das poetische:
man sang im gemeinen Leben, und der Dichter erhöhte nur seine 30
Akzente in einem für das Ohr gewählten Rhythmus; die Sprache
war sinnlich und reich an kühnen Bildern; sie war noch ein Aus¬
druck der Leidenschaft, sie war noch in den Verbindungen unge-
fesselt; der Periode stel auseinander wie er wollte. Seht, das ist die
poetische Sprache, der poetische Periode. Die beste Blüte der
Jugend in der Sprache war die Zeit der Dichter. Da es noch keine
Schriftsteller gab, so verewigten sie die merkwürdigsten Taten durch
Lieder; durch Gesänge lehrten sie, und in den Gesängen waren nach
der damaligen Zeit der Welt Schlachten und Siege, Fabeln und
Sittensprüche, Gesetze und Mythologie enthalten. Daß dies bei 40
den Griechen so gewesen, beweisen die Büchertitel der ältesten
verlornen Schriftsteller; und daß es bei jedem Volk so gewesen,
zeugen die ältesten Nachrichten.
Je älter der Jüngling wird, je mehr ernste Weisheit und
politische Gesetztheit seinen Charakter bildet, desto mehr wird er
männlich und hört auf, Jüngling zu sein. Eine Sprache in ihrem
männlichen Alter ist nicht eigentlich mehr Poesie, sondern die schöne
Prose. Jede hohe Stufe neigt sich wieder zum Abfall; und wenn
wir einen Zeitpunkt in der Sprache für den am meisten poetischen
annehmen, so muß nach demselben die Dichtkunst sich wieder neigen. 50
Je wehr sie Kunst wird, desto mehr entfernt sie sich von der Natur.
Je eingezogener und politischer die Sitten werden, je. weniger
die Leidenschaften in der Welt wirken, desto mehr verliert sie an
Gegenständen. Je mehr man am Perioden künstelt, je mehr die
Inversionen abschafft, je mehr bürgerliche und abstrakte Wörter
eingeführt werden, je mehr Regeln eine Sprache enthält: desto
34 der Periode: Herder gebraucht Periode bis t769 wie andere damals
als Masc., doch findet sich bei ihm vereinzelt auch schon das Fern., das dann
herrschend wird.