Full text: Von Wulfila bis zur Sturm- und Drangzeit (1, [Schülerband])

456 Q V. Q C? Q 
Jobarm 6ottfried Herder 
QCCJQQCJQC? 
zur politischen Ruhe; die Lebens- und Denkart legte ihr rauschendes 
Feuer ab; der Gesang der Sprache floß lieblich von der Zunge 
herunter wie dem Nestor des Homers und säuselte in die Ohren. 
Man nahm Begriffe, die nicht sinnlich waren, in die Sprache; man 
nannte sie aber, wie von selbst zu vermuten ist, mit bekannten sinn¬ 
lichen Namen; daher müssen die ersten Sprachen bildervoll und 
reich an Metaphern gewesen sein. 
Und dieses jugendliche Sprachalter war bloß das poetische: 
man sang im gemeinen Leben, und der Dichter erhöhte nur seine 30 
Akzente in einem für das Ohr gewählten Rhythmus; die Sprache 
war sinnlich und reich an kühnen Bildern; sie war noch ein Aus¬ 
druck der Leidenschaft, sie war noch in den Verbindungen unge- 
fesselt; der Periode stel auseinander wie er wollte. Seht, das ist die 
poetische Sprache, der poetische Periode. Die beste Blüte der 
Jugend in der Sprache war die Zeit der Dichter. Da es noch keine 
Schriftsteller gab, so verewigten sie die merkwürdigsten Taten durch 
Lieder; durch Gesänge lehrten sie, und in den Gesängen waren nach 
der damaligen Zeit der Welt Schlachten und Siege, Fabeln und 
Sittensprüche, Gesetze und Mythologie enthalten. Daß dies bei 40 
den Griechen so gewesen, beweisen die Büchertitel der ältesten 
verlornen Schriftsteller; und daß es bei jedem Volk so gewesen, 
zeugen die ältesten Nachrichten. 
Je älter der Jüngling wird, je mehr ernste Weisheit und 
politische Gesetztheit seinen Charakter bildet, desto mehr wird er 
männlich und hört auf, Jüngling zu sein. Eine Sprache in ihrem 
männlichen Alter ist nicht eigentlich mehr Poesie, sondern die schöne 
Prose. Jede hohe Stufe neigt sich wieder zum Abfall; und wenn 
wir einen Zeitpunkt in der Sprache für den am meisten poetischen 
annehmen, so muß nach demselben die Dichtkunst sich wieder neigen. 50 
Je wehr sie Kunst wird, desto mehr entfernt sie sich von der Natur. 
Je eingezogener und politischer die Sitten werden, je. weniger 
die Leidenschaften in der Welt wirken, desto mehr verliert sie an 
Gegenständen. Je mehr man am Perioden künstelt, je mehr die 
Inversionen abschafft, je mehr bürgerliche und abstrakte Wörter 
eingeführt werden, je mehr Regeln eine Sprache enthält: desto 
34 der Periode: Herder gebraucht Periode bis t769 wie andere damals 
als Masc., doch findet sich bei ihm vereinzelt auch schon das Fern., das dann 
herrschend wird.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.