89
64. Hürnen.
Abraham Emanuel Fröhlich.
„Schwing mir die Buben und schwing mir Mir eine Herzenslust.
sie stark!" Denn ich hasse die Zwergenart,
Ruft dem Winde der Wald; So die sumpfige Kluft, 5
„Klagen sie gleich in müdem Gestöhn, Eingewindelt, vor Wetter bewahrt
Laß mir nicht ab sobald! Immer in Stubenluft.
Also nur wurzelt ihr Fuß, und mit Mark; Fahl und kahl in des Frühlings Saft,
Füllet sich Arm und Brust; Hat schon ein Lüftchen sie umgerafft."
Und sie wachsen zu stolzen Höhn,
65. Zucht. io
Abraham Emanuel Fröhlich.
'„Nicht laß ich mich zäumen,"
Schäumt wütend das Pferd;
„Ich werde mich bäumen,
Mich wälzen zur Erd';
Und wenn sie mich schlagen,
Zerreiß' ich den Wagen
Und stürze feldein
Durch Klüft' und Gestein;
Denn besser zu sterben,
Als knechtisch verderben."
„Gern ließ ich mich zügeln,"
Entgegnet der Springer,
„Und Schläge und Stich
Verschoneten mich. 15
So ward ich ein Ringer
Und lernte beflügeln
Mich selber zum Ziel.
Viel besser gefiel
Mir, Zucht zu erwerben, 20
Denn zuchtlos verderben."
66. Adler und Jauöe.
Johann Wolfgang v. Goethe.
Ein Adlersjüngling hob die Flügel
Nach Raub aus;
Ihn traf des Jägers Pfeil und schnitt
Der rechten Schwinge Sennkraft ab.
Er stürzt' herab in einen Myrtenhain,
Fraß seinen Schmerz drei Tage lang
Und zuckt' an Qual
Drei lange, lange Nächte lang;
Zuletzt heilt' ihn
Allgegenwärt'ger Balsam
Allheilender Natur.
Er schleicht aus dem Gebüsch hervor
Und reckt die Flügel—ach!
Die Schwingkraft weggeschnitten —
Hebt sich mühsam kaum
Am Boden weg
Unwürd'gem Raubbedürfnis nach
Und ruht tieftrauernd
Auf dem niedern Fels am Bach;
Er blickt zur Eich' hinauf,
Hinauf zum Himmel,
Und eine Träne füllt sein hohes Aug'.
Da kommt mutwillig durch die Myrtenäste 25
Dahergerauscht ein Taubenpaar,
l Läßt sich herab und wandelt nickend
Über goldnen Sand am Bach
Und ruckt einander an;
Ihr rötlich Auge buhlt umher, 30
Erblickt den Jnnigtrauernden.
Der Tauber schwingt neugiergesellig sich
Zum nahen Busch und blickt
Mit Selbstgefälligkeit ihn freundlich an.
„Du trauerst," liebelt er; 35
1 „Sei gutes Mutes, Freund!
Hast du zur ruhigen Glückseligkeit
j Nicht alles hier?
Kannst du dich nicht des goldnen Zweiges
freun, 40
Der vor des Tages Glut dich schützt?
Kannst du der Abendsonne Schein
Auf weichem Moos am Bache nicht
Die Brust entgegenheben?