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25. Die Bitte ward gewähret,
Sie schien den Herrn gering;
Die Glocke ward geläutet,
Als er zu Tode ging.
5 26. Der Meister hört sie klingen
So voll, so hell, so rein!
Die Augen gehn ihm über,
Es muß vor Freude sein.
27. Und seine Blicke leuchten,
10 Als wären sie verklärt;
Er hatt' in ihrem Klange
Wohl mehr als Klang gehört.
28. Hat auch geneigt den Nacken
Zum Streich voll Zuversicht,
Und was der Tod versprochen,
Das bricht das Leben nicht.
29. Das ist der Glocken Krone,
Die er gegossen hat,
Die Magdalenenglocke
Zu Breslau in der Stadt.
30. Die ward zur Sünderglocke
Seit jenem Tag geweiht,
Weiß nicht, ob's anders worden
Zu dieser neuen Zeit.
4 91. Alexander Ypsilanti auf Munkaes.
Wilhelm Müller.
15 Alexander Ypsilanti saß in Munkaes’ hohem Turm.
An den morschen Fenstergittern rüttelte der wilde Sturm,
Schwarze Wolkenzüge flogen über Mond und Sterne hin,
Und der Griechenfürst erseufzte: „Ach, daß ich gefangen bin!“
An des Mittags Horizonte hing sein Auge unverwandt:
20 „Lag’ ich doch in deiner Erde, mein geliebtes Vaterland!“
Und er öffnete das Fenster, sah ins öde Land hinein:
Krähen schwärmten in den Gründen, Adler um das Felsgestein.
Wieder fing er an zu seufzen: „Bringt mir keiner Botschaft her
Aus dem Lande meiner Väter?“ Und die Wimper ward ihm schwer —
25 War’s von Tränen? war’s von Schlummer? — und sein Haupt sank
in die Hand.
Seht, sein Antlitz wird so helle — träumt er von dem Vaterland?
Also saß er, und zum Schläfer trat ein schlichter Heldenmann,
Sah mit freudig ernstem Blicke lange den Betrübten an:
30 „Alexander Ypsilanti, sei gegrüßt und fasse Mut!
In dem engen Felsenpasse, wo geflossen ist mein Blut,
Wo in einem Grab die Asche von dreihundert Spartern liegt,
Haben über die Barbaren freie Griechen heut gesiegt.
Diese Botschaft dir zu bringen, ward mein Geist herabgesandt.
35 Alexander Ypsilanti, frei wird Hellas’ heil’ges Land!“
Da erwacht der Fürst vom Schlummer, ruft entzückt: „Leonidas!“
Und er fühlt, von Freudentränen sind ihm Aug’ und Wange naß.
Horch, es rauscht ob seinem Haupte, und ein Königsadler fliegt
Aus dem Fenster, und die Schwingen jn dem Mondenstrahl er wiegt
40 J92. Kans Kuter.
Johann Gabriel Seidl.
1. „Horch, Marthe, draußen pocht es! Geh, laß den Mann herein!
Es wird ein armer Pilger, der sich verirrte, sein." —
„Grüß Gott, du schmucker Krieger! Nimm Platz an unserm Tisch!
Das Brot ist weiß und locker, der Trank ist hell und frisch!"
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