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5. „Hör an, Herr Oluf, tritt tanzen
mit mir,
Zwei güldne Sporen schenk' ich dir.
6. „Ein Hemd von Seide, so weiß
5 und fein.
Meine Mutter bleicht's mit Monden-
schein." —
7. „Ich darf nicht tanzen, nicht tanzen
ich mag,
10 Frühmorgen ist mein Hochzeittag." —
8. „Hör an, Herr Oluf, tritt tanzen
mit mir,
Einen Haufen Goldes schenk' ich dir." —
9. „Einen Haufen Goldes nähm' ich
15 wohl;
Doch tanzen ich nicht darf noch soll." —
10. „Und will, Herr Oluf, nicht tanzen
mit mir,
Soll Seuch' und Krankheit folgen dir."
20 11. Sie tät einen Schlag ihm auf
sein Herz,
Noch nimmer fühlt' er solchen Schmerz.
12. Sie hob ihn bleichend auf sein
Pferd:
25 „Reit heim nun zu dein'm Fräulein wert."
13. Und als er kam vor Hauses Tür,
Seine Mutter zitternd stand dafür.
14. „Hör an, mein Sohn, sag an
mir gleich,
Wie ist dein' Farbe blaß und bleich?" —
15. „Und sollt' sie nicht sein blaß
und bleich?
Ich traf in Erlenkönigs Reich." —
16. „Hör an, mein Sohn, so lieb
und traut,
Was soll ich nun sagen deiner Braut?" —
17. „Sagt ihr, ich sei im Wald zur
Stund',
Zu proben da mein Pferd und Hund."
18. Frühmorgen und als es Tag kaum
war,
Da kam die Braut mit der Hochzeitschar.
19. Sie schenkten Met, sie schenkten
Wein.
„Wo istHerrOluf, derBräut'gam mein?"—
20. „Herr Oluf, er ritt in Wald zur
Stund',
Er probt allda sein Pferd und Hund."
21. Die Braut hob auf den Scharlach rot,
Da lag Herr Oluf, und er war tot.
^97. Erlkönig.
Johann Wolfgang v. Goethe.
1. Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
30 Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.
2. „Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?"
„Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlenkönig mit Krön' und Schweif?"
35 „Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif." —
3. „Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
Gar schöne Spiele spiel' ich mit dir;
Manch bunte Blumen sind an dem Strand,
Meine Mutter hat manch gülden Gewand."