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245. Der Heideknabe.
Adalbert Stifter.
Inmitten all dieser Herrlichkeiten stand er oder ging oder sprang
oder saß er, — ein herrlicher Sohn der kleide: aus dem tiefbraunen Ge-
5 sichtchen voll Güte und Klugheit leuchteten in blitzendem, unbewußtem
Glanze die pechschwarzen Augen voll Liebe und Kühnheit. Um die Stirne
war eine Wildnis dunkelbrauner Haare kunstlos den Winden der Fläche
hingegeben. Wenn es mir erlaubt wäre, so würde ich meinen Liebling
vergleichen mit jenem Hirtenknaben aus den heiligen Büchern, der auch
10 auf der Heide von Bethlehem sein Herz fand und seinen Gott und die Träume
der künftigen Königsgröße. Aber völlig so arm wie unser kleiner Freund
war jener Hirtenknabe gewiß nicht; denn des ganzen lieben Tages Länge hatte
er nichts als ein tüchtig Stück schwarzen Brotes und ein klares, kühles
Wasser, das unweit des Hügels vorquoll, ein Brünnlein füllte und dann
15 flink längs der Heide forteilte, um, mit andern Schwestern vereint, dem
fernen Moore zuzugehen. Zu guten Zeiten waren auch ein oder zwei
Ziegenkäse in der Tasche. Aber ein Nahrungsmittel hatte er in einer
Güte und Fülle, wie es der überreichste Städter nicht aufweisen kann,
einen ganzen Ozean der heilsamsten Luft um sich und eine Farbe und
20 Gesundheit reifende Lichtfülle über sich. Abends, wenn er heimkam, wohin
. er sehr weit hatte, kochte ihm die Mutter eine Milchsuppe oder einen
köstlichen Brei aus Hirse. Sein Kleid war ein halbgebleichtes Linnen.
Weiter hatte er noch einen breiten Filzhut, den er aber selten aufsetzte,
sondern meistens in seinem Schlosse an einen Holznagel hängte, den er
25 in die Felsenritze geschlagen hatte.
Dennoch war er stets lustig und wußte sich oft nicht zu halten vor
Frohsinn. Von seinem Königssitze aus herrschte er über die Heide. Teils
durchzog er sie weit und breit, teils saß er hoch oben auf der Platte oder
Bednerbühne, und so weit das Auge gehen konnte, so weit ging die Phan-
30 tasie mit, oder sie ging noch weiter und überspann die ganze Fernsicht mit
einem Netze von Gedanken und Einbildungen. Furcht vor der Einsamkeit
kannte er nicht; ja, wenn recht weit und breit kein menschliches Wesen zu
erspähen war und nichts als die heiße Mittagsluft längs der ganzen Heide
zitterte, dann kam erst recht das ganze Gewimmel seiner inneren Gestalten
35 daher und bevölkerte die Heide. Nicht selten stieg er dann auf die Stein¬
platte und hielt sofort eine Predigt — unten standen die Könige und
Richter und das Volk und die Heerführer und Kinder und Kindeskinder,
zahlreich wie der Sand am Meere; er predigte Buße und Bekehrung —
und alle lauschten auf ihn. Er beschrieb ihnen das gelobte Land und ver-
40 hieß, daß sie Heldentaten tun würden, und wünschte zuletzt nichts sehn¬
licher, als daß er auch noch ein Wunder zu wirken vermöchte. Dann stieg
er hernieder und führte sie in die fernsten und entlegensten Teile der
Heide, wohin er wohl eine Viertelstunde zu gehen hatte, zeigte ihnen nun
das ganze Land der Väter und nahm es ein mit der Schärfe des Schwertes.