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zählige in unserem Leben vorkommen? Wie kann Gott alle einzelnen Begeg-
nisse unseres Lebens, alle unsere Bekanntschaften, unsere kleinen Freuden und
Leiden, alle kleineren Veränderungen unserer Lage mit in den Plan seiner Vor¬
sehung aufnehmen? Die, welche so denken, erwägen nicht, daß Gott, wie er
alle Dinge geschaffen hat, die großen wie die kleinen, auch notwendig erhalten
muß. Es ist Lehre der Kirche und der Vernunft, daß auch nicht die kleinste
Veränderung ohne steten Beistand Gottes stattfindet, und daß auch sie von
seiner Vorsehung gelenkt wird.
Das winzige, mit freiem Auge nicht einmal sichtbare Keimchen des Mooses,
das von der Hand Gottes beschirmt und gelenkt wird, mag uns belehren,
daß wir uns mit unbedingtem Vertrauen und sorgloser Liebe Gott hingeben
müssen, daß wir alle unsere Sorgen auf ihn wenden können und auch die
kleinsten Fügungen des Lebens, ja des einzelnen Tages, auf ihn beziehen
müssen.
331. Der Olivenbaum in Palästina.
Ludwig Schneller.
Eine große Rolle spielt im Leben der Palästinienser der Olivenbaum.
Er liebt die Gesellschaft. Nur selten steht er einzeln auf einsamer Höhe
und dient den "Wanderern als Richtzeichen. Meist hält er sich gleich
den Haustieren in der nächsten Nachbarschaft der Menschen. Fast über¬
all, wo man sich einem Dorfe naht, sieht man schon von weitem einen
dunklen Kranz von Olivenbäumen um dasselbe stehen. Schon Moses sagt
ja zu Israel: „Du wirst Ölivenbäume haben in allen deinen Grenzen.“ Oft
sieht man uralte Exemplare, die wohl ein Jahrtausend an ihrem Platze
treue Wacht gehalten haben mögen. Solch ein alter, knorriger Geselle, der
das Licht der Welt an einem sonnigen Frühlingstage zu den Zeiten Karls
des Großen und Harun al Raschids erblickt haben mag, sieht auch in
der Tat ehrwürdig und verwittert genug aus. Daß die Stürme der Jahr¬
hunderte nicht spurlos an ihm vorübergegangen sind, sondern ihm tüchtig
zugesetzt haben, sieht man auf den ersten Blick. Das Mark des Lebens
scheinen sie ihm aus dem Leibe genagt zu haben, so daß der ganz aus¬
gehöhlte Stamm nur noch wie dicke ausgebrannte Rinde aussieht. Aber
laß nur den Herbst kommen, und du wirst sehen, daß in der dürren
Rinde noch frisches Leben quillt und noch manches Tröpflein köstlichen
Olivenöls durch die Adern rinnt.
So nützlich der Olivenbaum ist, so anspruchslos ist er auch. Pflanze
ihn mitten unter die starren Felsen, und er wird dich bei einiger Pflege
mit reicher Frucht belohnen. Der Grund des Olivenwaldes um Beit-Djälu
war früher eine große Felsenwildnis, wie alle Nachbarberge, jetzt fließen
mitten aus den Felsen Jahr für Jahr ganze Ströme von 01. Daher heißt
es auch im 5. Buche Moses: „Er gibt 01 aus harten Steinen.“
Freilich auch wo die Olivenbäume einen Wald bilden, wie bei Beit-
Djälu, ist er nicht der hochgemute Stolz der Tannen- und Eichenwälder
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