Full text: Prosa für Lehrerseminare (Teil 3)

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sie nach seiner Weise zu erfassen, d. h. er konnte nicht als Freund- 
eines Komponisten ihr Entstehen belauschen; selbst den Übungen einer 
tüchtigen Kapelle oder eines Gesangvereins hätte er erst als Greis 
lernend beiwohnen können, da von der musikalischen Sintflut unserer 
5 Zeit zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts erst spärliche Anläufe 
da waren. Aber auch da ergriff er jede Gelegenheit, sich zu bilden. 
Er richtete sich während der Napoleonischen Zeit einen eigenen be¬ 
scheidenen Singechor ein, der freilich nicht oft über vier Stimmen 
hinausging; von ihm hörte er mit seinen Hausgenossen jeden Sonntag 
io Morgen geistliche Lieder und Motetten. Eberweiiü), nach dessen Melodie 
wir heute noch das „Ergo bibamus“ singen, leitete es. Als Goethe 
im Winter 1818 auf 19 drei Wochen in Berka zubrachte, mußte 
ihm der Inspektor Schütz dort täglich drei bis vier Stunden vor¬ 
spielen, und zwar in historischer Reihenfolge Sebastian Bach bis zu 
io Beethoven durch Philipp Emanuel Bach, Händel, Haydn, Mozart, 
auch Dusseck und dergleichen mehr. Zugleich studierte er Marpergers 
„vollkommenen Kapellmeister". Und noch, als den Achtzigjährigen 
das Spiel des jungen Felir Mendelssohn entzückte, mußte ihm der 
Knabe die ganze Entwickelung der Musik oordozieren und vorspielen. 
20 „Und da sitzt er in einer dunklen Ecke wie ein Jupiter tonans und 
blitzt mit den alten Augen." — 
So hielt er es in allem. Fuhr er mit Eckermann spazieren, so 
mußte dieser ihm lange Vorträge über die Lebensweise seiner geliebten 
Vögel halten, und im Garten nahmen sie einmal die ganze Lehre 
25 vom Bogenbau und Bogenschießen sehr gründlich durch, wobei der 
Sechsundsiebzigjährige auch dieser Übung noch Herr zu werden suchte. 
„Goethe schob die Kerbe des Pfeils in die Senne, auch faßte er den 
Vogen richtig, doch dauerte es ein Weilchen, bis er damit zurechtkam. 
Nun zielte er nach oben und zog die Senne. Er stand da wie ein Apoll, 
3« mit unverwüstlicher innerer Jugend, doch alt an Körper." Schon 
als Student schaute er auf seinen Wanderungen nicht bloß nach schönen 
Mädchen und guten Weinen aus, sondern kümmerte sich recht sorgsam 
z. B. um den Gewerbefleiß an der Saar oder die Altertümer bei 
Niederbronn. Im Alter schreibt er einmal an seinen August, er treibe 
35 in Böhmen seinen alten Spaß noch immer fort, in jeder Mühle nach¬ 
zufragen, wo sie ihre Mühlsteine hernehmen. So bekam er nämlich 
eine schnellere Übersicht über die Geologie der Gegend, als der Laie 
vermutet. Und an jedem Orte fragte er nach kundigen Leuten, die ihn 
*) Komponist (1775—1831), seit 1817 Hofkapellmeister in Rudolstadt.
	        
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