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Hamburg und Bremen, auch im neuerstandenen Deutschen Reich ver¬
fassungsmäßig gewährleistet ist; nein, auch den Zwergreichsstädten
der schwäbischen Bank ist etwas von dem Selbstgefühl geblieben, das
sie in jahrhundertelangem Streit mit den angrenzenden Landesherren
s unabhängig erhielt. Überlingen, gegenüber der Mainau, am Nord-
westarm des Bodensees, zeigt in der sorgsamen Erhaltung seiner Bau¬
denkmäler, mit welcher Liebe die kaum viertausend Bewohner des
reizenden Städtchens an ihrer Vergangenheit hangen. In dem noch
kleineren Pfullendorf fand ich den Reichsadler am Rathause auf das
io sorgfältigste renoviert.
Soest in Westfalen hat schon am Schlüsse der langen Fehde
zwischen den Erzbischöfen von Cöln und den Grafen von der Mark im
15. Jahrhundert aufgehört, eine Reichsstadt zu sein. Nichtsdesto¬
weniger hat sich die schöne alte Stadt den aus hellen Quadern er-
i5 richteten Ring ihrer Stadtmauer mit Toren und Türmen vollständig
bewahrt; sie umschließt in ihren zahlreichen Kirchen, unter denen
der romanische Bau des heiligen Patroklus und die hochaufstrebende
gotische Wiesenkirche zu den hervorragendsten Architekturleistungen
Westfalens zählen, in den Sälen ihres Rathauses und in den Zimmern
so ihrer Patrizierhäuser eine Menge der interessantesten Altertümer, und
sie wird. wie ich mich bei manchem erfreulichen Anlaß überzeugt habe,
von so kernfesten Bürgern bewohnt, daß mir auch um ihre Zukunft
nicht bange ist. Soest würde ich in erster Linie nennen, wenn mich
jemand nach dem Typus einer guten deutschen Mittelstadt fragte, und
25 wer dorthin geht, wird um Ausfüllung seiner Stunden nicht verlegen
sein. Er möge u. a. nicht versäumen, in der Wiesenkirche das Bild des
heiligen Abendmahls zu besichtigen, bei dem der wackere Maler, ein
echter Sohn der roten Erde, den Heiland und seine Jünger statt des
Osterlammes einen guten Schinken nebst Pumpernickel verspeisen läßt.
so Residenzen. Wiederum ganz anders zeigt sich der geschichtliche
Charakter ausgeprägt in Städten vorwiegend fürstlichen Ursprungs,
sei es, daß sie weltlichen Landesherren ihre Anlage und als Residenz
ihre Vergrößerung verdanken oder daß sie früher unter dem Krumm-
stab geistlicher Herrscher gestanden haben. Münster, Bonn, Koblenz,
zz Bruchsal, Aschaffenburg, Würzburg zeigen noch heute in ausgedehnten
Schloßbauten, daß diese geistlichen Herren an Vaulust und Prachtliebe
es mit ihren weltlichen Kollegen reichlich aufzunehmen wußten, während
die kolossalen Verhältnisse jetzt leerstehender oder zu ganz anderen
Zwecken dienender Fürstenschlösser in Celle, Hildburghausen, Saalfcld,
4o Weißenfels, Schwedt und in anderen Orten davon reden, wieviele