92
3. Der Wandertrieb.
Die Wachtel kann wegen ihres sehwerfälligen Fluges nur mit
Hilfe des Windes lange Strecken durchziehen. Die europäischen
Wachteln kommen auf ihrer Wanderung stets mit dem Nordost-
wind nach Malta.
Was treibt die Zugvögel zur Wanderung? — Nicht die RKãlte,
nicht der Nahrungsmangel; denn viele ziehen schon in der Nitte
des Sommers von uns fort, wo sie weder frieren noch Mangel
leiden. Wer weiset den Vögeln den Weg und das Land, wo sie
wãhrend unseres Winters ihre Nahrung finden? — Wer sagt ihnen
die Zeit, wann sie aufbrechen sollen? —
Wenn der wandernde Vogel über das Meer zieht nach einem
Lande, welehes er noch nie gesehen hat, mit der Ahnung, dort
seinen Unterhalt zu finden, so muß über dem Vogel und dem
Lande seiner Sehnsucht eine höhere Weisheit walten, welche beide,
das Land und den Vogel, für einander geschaffen hat, so daß sie
als Glieder der Naturhaushaltung einander bedürfen.
Unsere Mauerschwalbe begiebt sich schon Anfang August auf
ihre Wanderung; der Kuckuck langt schon in der Nitte des
August in Afrika an; die Rauch- und Hausschwalbe erst in der
zweiten Hälfte des September.
Auch die Vorbereitung zur Reise zeigt uns eine höhere,
liebende Fürsorge für die Geschöpfe. Das Blaukehlehen 2z. B.
bekommt schon mit Ende Juli sein vollständiges Winterkleid. Sein
ganzes Gefieder wird erneuert. Es hat die neuen Schwung- und
Schwanzfedern zu seiner weiten Reise sehr nötig. Kurze Zeit vor
seiner Abreise bekommt es eine auberordentliche Eblust und
wird so wohlbeleibt, wie sonst nicht im ganzen Jahre. Zur be—
stimmten Zeit wird es unruhig und bekommt, selbst wenn es in
einen Kafig eingesperrt ist, die Reiselust.
Die guten FPlieger wandern bei Tage; die Vögel dagegen,
welehe einen schwerfälligen PFlug haben, wandern des Nachts und
finden gleichwohl den rechten Weg, ohne Mondschein und ohne
Laterne, ohne Kompab und Reisekarte. Die meisten Zugvögel
haben ihre Haltestellen, wo sie siech niederlasson, um Nahrung
und Kraft zu sammeln zur Fortsetzung der Reiss. Manche Arten
wandern in ungeordneten, freibeweglichen Scharen, wie 2. B. die
Finken, Ammern, Schwalben, Lerchen; andere beobachten eine
bestimmte Ordnung und folgen einem Anführer. Die wilden
Ganse 2. B. und die Kraniche ziehen in einer spitzwinkligen
RKeilform, in regelmätigen Abständen der einzelnen Glüeder der
Reisegesellschaft. Die Ibisse wandern in einer sanftgebogenen
Sehlangenlinie, dio oft vom Scheitelpunkte des Schauers bis zum
fernen Horizonte sich hinzieht.
Die meisten Vögel wandern, unabhängig von der Himmols-
gegend, ihrer Nahrung nach. Der Grünspecht Amerikas 2. B.
weiß genau, wann die Kirschen in PFrankreieb reif werden,