479
Oder ob ich ihn mir vergegenwärtige, wie er in unserer Stiftskapelle
vor dem von ihm geschenkten Pfannschmidtschen Bilde „Anbetung der
Könige vor Jesu" bezeugt, alle Kränze und Ehren, die er im Leben
empfangen, lege er zu Füßen des Thrones nieder, auf dem der sitzt, der
ein König aller Könige ist:-immer ist die Demut der Erundton s
seiner Seele! Er weiß: was hülfe es dem Menschen, wenn er die
ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele; er
weiß, daß Jesus seinen Jüngern gesagt hat: Freuet euch nicht darin,
daß euch die Geister untertan sind; freuet euch aber, daß eure Namen
im Himmel geschrieben sind. 10
Auch diese demütigen Bekenntnisse folgen ihm unter seinen Werken
nach! —
Am nächsten 29. April sind es 200 Jahre, daß ein großer Mann
aus dem Hohenzollerngeschlecht heimging, dessen Sarg dort in den
Räumen unseres Domes aufgestellt ist. O, was liegt innerhalb dieser i&
200 Jahre unserer Geschichte, welch eine Kette von Demütigungen
und Ermutigungen, von Kämpfen und von Siegen, von Führungen
und Fügungen, Glied um Glied, welche sich zwischen dem Sarg des
Großen Kurfürsten dort und dem jüngst hier aufgebahrten Sarge des
ersten deutschen Kaisers aus dem Hohenzollernstamm hinzieht! Beide 20
Fürsten haben durch Krieg und Frieden entscheidende Wendepunkte
herbeigeführt, haben ihr Land machtvoll erweitert und glanzvoll er¬
höht. Beide haben ihre Nachfolger ermahnt, die Waffen nicht aus
der Hand zu lassen; beide haben im Glauben an den Erlöser unter den
Klängen des 73. Psalms: „Wenn ich nur dich habe!" die Augen ge- 25
schlossen, beide ihren Erben einen reichen Schah von Liebe, Vertrauen
und Verehrung vermacht. Als neben dem Sarg die Neichsinsignien
einhergetragen wurden, — war's uns nicht eine sinnbildliche Sprache,
— wie hier Krone und Zepter, wie hier Schwert und Schild zusammen¬
gehören und einander antworten, so ist bei uns Königtum und Volks- sz
tum, Kaiser und Reich aufeinander gestimmt. Dies der Segen über
das Haupt des geliebten Sohnes und Nachfolgers Friedrich III., den
Gott schirmen und trösten möge nach seiner reichen Barmherzigkeit!
Ihre Werke folgen den im Glauben Entschlafenen nach. —
Nachgewallfahrtet sind im Geiste Millionen, und schöner als der 35
Schmuck der Kränze ist der Schmuck der Tränen gewesen, den alt und
jung, vornehm und gering dem geliebten, greisen Monarchen nach¬
geweint. Und wenn es rührend war, wie unverabredet, unwillkürlich
sich Zahllose nach einem Tannenzweig bückten und ihn aufhoben und
mitnahmen nach Haus, über den der Trauerzug gegangen war,-40