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Fabeln und Schwänke, Märchen und Sagen.
Worms zu den Ufern des Rheins und gaben dem Fergen für die
Überfahrt Fische, die sie früher gefangen hatten. Als diese am
nächsten Tage wohl zubereitet auf König Günthers Tisch kamen,
wunderte er sich über das seltene Mahl und ließ den Fährmann
rufen. Sobald der von dem wandernden Kecken und der schönen
Jungfrau erzählt und auch erwähnt hatte, daß beim Tritte des Rosses
die Schreine wie voll Gold und Edelsteine geklungen, rief Hagen:
„Freut euch, Walther, mein Gesell, reitet mit Hildgund heim aus
dem Hunnenland!" Übermütig und beutelüstern aber jubelte König
Günther: „Den Schatz, den mein Vater einst gezinst, hat ein guter
Gott mir zurückgebracht." Sogleich wählte er zwölf Kecken aus,
um mit ihnen den Wandernden nachzujagen; unter ihnen befand sich
auch Hagen, der, des alten Freundes gedenkend, vergeblich seinen
Herrn gebeten hatte, solch feindliche Absicht aufzugeben«
2.
Derweilen war Walther in den Wasgenwald gekommen, ein wild¬
reiches Waldgebirge. Da, wo zwei überhangende Berggipfel eine Kluft
mit frischbegrüntem Boden bildeten, gedachte er auszuruhen; denn
bisher hatte er nie anders geschlafen als auf seinen Schild gestützt. Er
entledigte sich also der Waffen und legte sein Haupt auf den Schoß
Hildgunds, die, über ihm wachend, weit in die Ebene hinabschaute.
Als sie nach einiger Zeit von ferne den Staub von Kossen gewahrte,
weckte sie — mit leisem Finger sein Haar streichend — den Schlum¬
mernden, der sich wappnete und an den Eingang der Höhle stellte.
Hildgund fürchtete, die Hunnen seien ihnen bis hierher nachgeeilt,
und bat, sie zu töten, damit kein anderer Mann sie raube. Der Held
aber hatte die Nibelungen erkannt und am Helme seinen Gesellen
Hagen, der allein im Falle eines Kampfes ihm Sorge machte. Als
die Schar nahegekommen war, sandte der König auf Hägens Kat
zuerst einen seiner Recken ab, der dem Königssöhn aus Aquitanien
freie Heimkehr zusicherte, wenn er die Schreine und die Jungfrau
ausliefere. Stolz lehnte er solche Forderungen ab, bot aber hundert
Goldringe, wenn man den Kampf ihm erlasse. Vergeblich, Günther
forderte den ganzen Goldschatz, zu Hägens Unwillen, der bösen Aus¬
gang voraussah und zornig ins Tal zu einem nahen Hügel ritt, auf
dem er sich ins Gras setzte.
Ein schmaler Pfad bildete den Zugang zur Höhle, sodaß immer