Full text: [Teil 1, [Schülerband]] (Teil 1, [Schülerband])

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Der Fuchs fing das Fleisch lachend auf und fraß es mit bos⸗ 
hafter Freude. Doch bald verkehrte sich die Freude in ein schmerz- 
haftes Gefühl; das Gift fing an zu wirken und er — verreckte. 
Möchtet ihr euch nie etwas anderes als Gift erloben, ver— 
dammte Schmeichler! 
39. Der WMolf auf dem Todbetto. 
Gotthold Ephraim Lessing. 
Der Wolf lag in den letzten Zügen und schickte einen 
prũfenden Blick auf sein vergangenes Leben zurüũck. „Ich bin 
freilich ein Sũüũnder,“ sagte er, „aber doch, hoffe ich, Keiner von 
den gröbten. Ich habe Böses getan, aber auch viel Gutes. Einst- 
mals, erinnere ich mich, kKam mir ein blõkendes Lamm, welches 
sich von der Herde verirrt hatte, so nahe, dab ich es gar leicht 
hãtte würgen können, und ich tat ihm nichts. Zu ebendieser 
Zeit hörte ich die Spöttereien und Schmähungen eines Schafes 
mit der bewunderungswũrdigsten Gleichgũltigkeit an, ob ich schon 
keine schũtzenden Hunde zu fürchten hatte.“ 
„Und das alles kann ich dir bezeugen,“ fiel ihm Freund 
Fuchs, der ihn zum Tode bereiten half, ins Wort; „denn ich 
erinnere mich noch gar wohl aller Umstände dabei. Es war zu 
eben der Zeit, als du dich an dem Beine so jämmerlich würgtest, 
das dir der gutherzige Kranich hernach aus dem Schlunde zog.“ 
40. Die Esel. 
Gotthold Ephraim Lessing. 
Die Esel beklagten sich bei Zeus, daß die Menschen mit ihnen 
zu grausam umgingen. „Unser starker Rücken,“ sagten sie, „trägt 
ihre Lasten, unter welchen sie und jedes schwächere Tier erliegen 
müßten. Und doch wollen sie uns durch unbarmherzige Schläge 
zu einer Geschwindigkeit nötigen, die uns durch die Last unmöglich 
gemacht würde, wenn sie uns auch die Natur nicht versagt hätte. 
Verbiete ihnen, Zeus, so unbillig zu sein, wenn sich die Menschen 
anders etwas verbieten lassen. Wir wollen ihnen dienen, weil 
es scheint, daß du uns dazu erschaffen hast; allein geschlagen wollen 
wir ohne Ursache nicht sein.“ 
„Mein Geschöpf,“ antwortete Zeus ihrem Sprecher, „die Bitte 
ist nicht ungerecht; aber ich sehe keine Möglichkeit, die Menschen 
zu überzeugen, daß eure natürliche Langsamkeit keine Faulheit sei, 
uͤnd so lange sie dieses nicht glauben, werdet ihr geschlagen 
werden. — Doch ich sinne, euer Schicksal zu erleichtern. — Die 
Unempfindlichkeit soll von nun an euer Teil sein; eure Haut soll
	        
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