Full text: Von Vulfila bis zum Ende des 19. Jahrhunderts (Hälfte 1, [Schülerband])

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Das XI. Kapitel. Von Komödien oder Lustspielen. 
.. Die Franzosen haben es wohl unstreitig wie in der Tragödie, also auch in der 
Komödie am höchsten gebracht. . . Die Komödie ist nichts andres als eine Nachahmung 
einer lasterhaften Handlung, die durch ihr lächerliches Wesen den Zuschauer belustigen, aber 
auch zugleich erbauen kann. . . Die Fabeln der Komödie werden . . auf eben die Art gemacht 
als die tragischen. . . Die Personen, die zur Komödie gehören, sind ordentliche Bürger 
oder doch Leute von mäßigem Stande, dergleichen auch wohl zur Not Barons, Marquis 
und Grafen sind: nicht, als wenn die Großen dieser Welt keine Torheiten zu begehen 
pflegten, die lächerlich wären, sondern weil es wider die Ehrerbietung läuft, die man ihnen 
schuldig ist, sie als auslachenswürdig vorzustellen. . . Die Schreibart der Komödien . . 
ist von der Tragödie sehr unterschieden. Das macht, daß dort fast lauter vornehme Leute, 
hier aber Bürger und geringe Personen, Knechte und Mägde vorkommen; dort die heftigsten 
Gemütsbewegungen herrschen, die sich durch einen pathetischen Ausdruck zu verstehen geben, 
hier aber nur lauter lächerliche und lustige Sachen vorkommen, wovon man in der gemeinen 
Sprache zu reden gewohnt ist. Es muß also eine Komödie eine ganz natürliche Schreibart 
haben, und wenn sie gleich in Versen gesetzt wird, doch die gemeinsten Redensarten bei¬ 
behalten. .. 
2. Die Schweizer. 
1. Johann Jakob Äodmer (1698—1783). 
Quellen: Die Discourse der Mahlern. Erster Teil. Zürich 1721. Critische Abhandlung von dem 
Wunderbaren in der Poesie etc. Zürich 1740. Bötticher u. Kinzel, Denkmäler der älteren deutschen 
Lit. IV, 2. Halle 1893. 
1. Jus „Discourse der Mahlern". 
I. Teil. XX. Diskurs. 
WEnn ich die genaue Verwandtschaft betrachte, welche die Künste derer Leute, die mit 
der Feder, die mit dem Pinsel und die mit dem Griffel und Stempel arbeiten, mit einander 
haben, so darf ich gedenken, daß die Manes dieser vortrefflichen Malern und Bildhauern, deren 
Namen sich die Zunft meiner Mit-Skribenten zugeleget hat, wenn sie gleich unter der Erde 
noch Anteil an unsrer Welt Geschäften nähmen und fähig wären, sich für dieselben zu 
passionieren, eben nicht Ursachen fänden, wegen dieser genommenen Freiheit mißvergnügt zu 
werden. Ich sehe nichts, daß sie dazu sagen könnten, als diesen malenden Schreibern den 
Unterricht erteilen, daß sie sich die Emulation lassen aufmuntern, die Natur mit ihren 
Federn so nahe und geschickt nachzufolgen *), wie sie mit ihren delikaten Pinseln und Griffeln 
getan haben. 
Die Natur ist in der Tat die einzige und allgemeine Lehrerin derjenigen, welche recht 
schreiben, malen, ätzen; ihre Professionen treffen darin genau überein, daß sie sämtlich dieselbe 
zum Original und Muster ihrer Werken nehmen, sie studieren, kopieren, nachahmen. Sie 
führet die Feder der Schreibern 2), sie hilft den Malern die Farben reiben und den Bildhauern 
die Lineamente zeuhen. Keiner von allen diesen kann etwas ausfertigen2), wenn er sich 
nicht mit ihr beratet und die Regeln seiner Kunst von ihr entlehnt. Der Skribent, der 
1) nachfolgen e. acc. ist schweizerisch. 2) Schreiber, Schriftsteller. 3) ausfertigen, 
schaffen.
	        
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