Full text: Von Vulfila bis zum Ende des 19. Jahrhunderts (Hälfte 1, [Schülerband])

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weineten um Brot — — da gedacht ich des einzigen sorgsam bewahrten Goldes — ich 
nahm es, und nun sagt die Welt..Er vermochte nicht weiter zu reden vor Wehmut 
und verstummte. 
Aber der reiche Erbe wandte sein Angesicht von ihm weg und verließ ihn. 
6. Friedrich Hölderlin (1770—1843)* 
Quelle: Gedichte von F. Hölderlin. Stuttgart 1847. 
1. An die Deutschen. 
Spottet ja nicht des Kinds, wenn es mit 
Peitsch und Sporn 
Auf dem Rosse von Holz mutig und groß 
sich dünkt. 
Denn, ihr Deutschen, auch ihr seid 
Tatenarm und gedankenvoll. 
Oder kommt, wie der Strahl aus dem 
Gewölke kommt. 
Aus Gedanken die Tat? Leben die Bücher bald? 
O ihr Lieben! So nehmet mich, 
Daß ich büße die Lästerung. 
2. Des Morgens. 
Vom Taue glänzt der Rasen, beweglicher 
Eilt schon die wache Quelle; die Birke neigt 
Ihr schwankes Haupt, und im Geblätter 
Rauscht es und schimmert; und um die grauen 
Gewölke streifen rötliche Flammen dort. 
Verkündende, sie wallen geräuschlos auf; 
Wie Fluten am Gestade wogen 
Höher und höher die wandelbaren. 
Komm nun, o komm, und eile mir nicht 
zu schnell, 
Du goldner Tag, zum Gipfel des Himmels fort! 
Denn offner fliegt, vertrauter dir mein 
Auge, du Freudiger! zu, solang du 
In deiner Schöne jugendlich blickst und noch 
Zu herrlich nicht, zu stolz mir geworden bist; 
Du möchtest immer eilen, könnt ich, 
Göttlicher Wandrer, mit dir! — doch lächelst 
Des frohen Übermütigen du, daß er 
Dir gleichen möchte; segne mir lieber denn 
Mein sterblich Tun und heitre wieder. 
Gütiger! heute den stillen Pfad mir! 
3. Abendphantasie. 
Vor seiner Hütte ruhigem Schatten sitzt 
Der Pflüger, dem Genügsamen raucht sein Herd. 
Gastfreundlich tönt dem Wanderer im 
Friedlichen Dorfe die Abendglocke. 
Wohl kehren jetzt die Schiffer zum Hafen auch, 
In fernen Städten fröhlich verrauscht des Markts 
Geschäft'ger Lärm; in stiller Laube 
Glänzt das gesellige Mahl den Freunden. 
Wohin denn ich? Es leben die Sterblichen 
Von Lohn und Arbeit; wechselnd in Müh 
und Ruh 
Ist alles freudig; warum schläft denn 
Nimmer nur mir in der Brust der Stachel? 
Am Abendhimmel blüht ein Frühling auf; 
Unzählig blühn die Rosen, und ruhig scheint 
Die goldne Welt; o dorthin nehmt mich, 
Purpurne Wolken! und mögen droben 
In Licht und Luft zerrinnen mir Lieb 
und Leid! — 
Doch, wie verscheucht von törichter Bitte, flieht 
Der Zauber! dunkel wirds, und einsam 
Unter dem Himmel wie immer bin ich. 
Komm du nun, sanfter Schlummer! zuviel 
begehrt 
Das Herz, doch endlich, Jugend, verglühst du ja. 
Du ruhelose, träumerische! 
Friedlich und heiter ist dann das Alter. 
4. Die Eichbäume. 
Aus den Gärten komm ich zu euch, ihr 
Söhne des Berges! 
Aus den Gärten, da lebt die Natur geduldig 
und häuslich, 
Pflegend und wieder gepflegt mit dem fleißigen 
Menschen zusammen. 
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