Full text: Von Vulfila bis zum Ende des 19. Jahrhunderts (Hälfte 1, [Schülerband])

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i35 Da kam in Hast, den Zaum verhängt, 
Ein vierter Ritter nachgesprengt. 
Die andern waren seine Mannen; 
Sie suchten Räuber, die entrannen. 
Er zügelt des Kastiliers Lauf 
wo Und ruft: „Was ist? Wer hält uns auf?" — 
So ritt er zu dem Knaben vor; 
Der blickt verzückt an ihm empor: 
Wann sah er je so Lichtes wieder? 
Lang fiel der Waffenrock hernieder, 
ii5 Daß er den Tau vom Grase strich; 
Viel goldne Glöcklein wiegten sich 
Am Stegreif; auch sein Arm erklang 
Von Schellen, wenn das Schwert er schwang. 
So hielt der Fürst in prächt'ger Zier 
i5o Und fragte: „Jungherr, sahet ihr 
Zwei Ritter hier vorüberkommen, 
Die eine Maid mit Raub genommen?" — 
Jedoch der Knabe hört' ihn nicht. 
Dem war er Gott: er strahlt' so licht, 
i55 Ganz wie die Mutter ihn beschrieb. 
„Hilf Gott! Dir ist ja Helfen lieb!" — 
So ruft er immer wieder 
Und neigt sich betend nieder. 
Da spricht der Fürst: „Gott bin ich nicht; 
wo Doch steh ich gern in seiner Pflicht. 
Vier Ritter siehst du da vor dir." — 
„Was ist das: Ritter? Sag es mir! 
Hast du nicht Gottes Kraft, so sag, 
Wer Ritters Namen geben mag." — 
i65 „Den teilt der König Artus aus, 
Und kommt ihr, Jungherr, in sein Haus, 
So wird ers euch gewähren, 
Bringt euch zu Ritters Ehren. 
Ihr scheint von Ritters Art geboren." — 
ho Sie stehn im Anschaun ganz verloren, 
Wie Gottes Kunst an ihm erschien: 
Ein schönres Menschenbild als ihn 
Sah man nicht seit Adams Tagen. 
Und wieder hub er an zu fragen: 
ii5 „Ei, Ritter Gott, was mag das sein? 
Du hast so manches Ringelein 
Um deinen Leib gewoben, 
Hier unten und dort oben." — 
Damit betastet seine Hand, 
i8o Was er von Eisen an ihm fand, 
Und ließ nicht ab, so viel sie lachten, 
Den Harnisch eifrig zu betrachten: 
„Die Jungfraun meiner Mutter auch", 
So sprach er, „haben das im Brauch, 
Daß sie an Schnüren Ringlein tragen, i85 
Die nicht so ineinander ragen." 
Er schwatzte fort im Kindesmut: 
„Sag doch, wozu sind sie dir gut? 
Wie fest sie sich verstricken! 
Ich kanns nicht von dir zwicken." — ioo 
Da zeigte ihm der Fürst sein Schwert: 
„Nun sieh, wenn einer Streit begehrt. 
So muß ich mich mit Schlägen wehren, 
Daß mich die seinen nicht versehren; 
Gegen Schuß und gegen Stich 195 
Muß ich also wappnen mich." — 
„Ei", rief darauf der Knabe schnell, 
„Trügen die Hirsche solches Fell, 
Dann könnt mein Wurfspieß keinem an, 
So fäll ich manchen doch im Tann." — 200 
Die Ritter murrten: ihren Lauf 
Hielt allzulang der Dümmling auf. 
Da sprach der Fürst: „Gott hüte dein! 
Ach, wäre deine Schönheit mein! 
Du hättest ein vollkommnes Leben, 205 
Wär dir nur auch Verstand gegeben. 
Der Himmel halte Leid dir fern!" — 
Von hinnen sputen sich die Herrn. . . 
Heut möcht ein andrer birschen: 225 
Sein Sinn stand nicht nach Hirschen. 
Er rennt nach Haus zur Mutter wieder. 
Erzählt — und sprachlos sinkt sie nieder. 
Doch als sie wieder kam zu Sinn, 
Sprach die entsetzte Königin: 230 
„Wer sagte dir von Rittertum? 
O sprich, mein Sohn! Du weißt darum?" — 
„Vier Männer sah ich, Mutter mein, 
Gott selbst hat nicht so lichten Schein; 
Die sagten mir von Ritterschaft. 235 
Artus in seiner Königskraft 
Verleiht die Rittersehren, 
Soll sie auch mir gewähren." — 
Da ging ein neuer Jammer an. 
Sie wußte keinen Rat und sann: 240 
Was sollte sie erdenken, 
Sein Trachten abzulenken? 
Das einzige, was er begehrt 
Und immer wieder, ist ein Pferd. 
3*
	        
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