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i35 Da kam in Hast, den Zaum verhängt,
Ein vierter Ritter nachgesprengt.
Die andern waren seine Mannen;
Sie suchten Räuber, die entrannen.
Er zügelt des Kastiliers Lauf
wo Und ruft: „Was ist? Wer hält uns auf?" —
So ritt er zu dem Knaben vor;
Der blickt verzückt an ihm empor:
Wann sah er je so Lichtes wieder?
Lang fiel der Waffenrock hernieder,
ii5 Daß er den Tau vom Grase strich;
Viel goldne Glöcklein wiegten sich
Am Stegreif; auch sein Arm erklang
Von Schellen, wenn das Schwert er schwang.
So hielt der Fürst in prächt'ger Zier
i5o Und fragte: „Jungherr, sahet ihr
Zwei Ritter hier vorüberkommen,
Die eine Maid mit Raub genommen?" —
Jedoch der Knabe hört' ihn nicht.
Dem war er Gott: er strahlt' so licht,
i55 Ganz wie die Mutter ihn beschrieb.
„Hilf Gott! Dir ist ja Helfen lieb!" —
So ruft er immer wieder
Und neigt sich betend nieder.
Da spricht der Fürst: „Gott bin ich nicht;
wo Doch steh ich gern in seiner Pflicht.
Vier Ritter siehst du da vor dir." —
„Was ist das: Ritter? Sag es mir!
Hast du nicht Gottes Kraft, so sag,
Wer Ritters Namen geben mag." —
i65 „Den teilt der König Artus aus,
Und kommt ihr, Jungherr, in sein Haus,
So wird ers euch gewähren,
Bringt euch zu Ritters Ehren.
Ihr scheint von Ritters Art geboren." —
ho Sie stehn im Anschaun ganz verloren,
Wie Gottes Kunst an ihm erschien:
Ein schönres Menschenbild als ihn
Sah man nicht seit Adams Tagen.
Und wieder hub er an zu fragen:
ii5 „Ei, Ritter Gott, was mag das sein?
Du hast so manches Ringelein
Um deinen Leib gewoben,
Hier unten und dort oben." —
Damit betastet seine Hand,
i8o Was er von Eisen an ihm fand,
Und ließ nicht ab, so viel sie lachten,
Den Harnisch eifrig zu betrachten:
„Die Jungfraun meiner Mutter auch",
So sprach er, „haben das im Brauch,
Daß sie an Schnüren Ringlein tragen, i85
Die nicht so ineinander ragen."
Er schwatzte fort im Kindesmut:
„Sag doch, wozu sind sie dir gut?
Wie fest sie sich verstricken!
Ich kanns nicht von dir zwicken." — ioo
Da zeigte ihm der Fürst sein Schwert:
„Nun sieh, wenn einer Streit begehrt.
So muß ich mich mit Schlägen wehren,
Daß mich die seinen nicht versehren;
Gegen Schuß und gegen Stich 195
Muß ich also wappnen mich." —
„Ei", rief darauf der Knabe schnell,
„Trügen die Hirsche solches Fell,
Dann könnt mein Wurfspieß keinem an,
So fäll ich manchen doch im Tann." — 200
Die Ritter murrten: ihren Lauf
Hielt allzulang der Dümmling auf.
Da sprach der Fürst: „Gott hüte dein!
Ach, wäre deine Schönheit mein!
Du hättest ein vollkommnes Leben, 205
Wär dir nur auch Verstand gegeben.
Der Himmel halte Leid dir fern!" —
Von hinnen sputen sich die Herrn. . .
Heut möcht ein andrer birschen: 225
Sein Sinn stand nicht nach Hirschen.
Er rennt nach Haus zur Mutter wieder.
Erzählt — und sprachlos sinkt sie nieder.
Doch als sie wieder kam zu Sinn,
Sprach die entsetzte Königin: 230
„Wer sagte dir von Rittertum?
O sprich, mein Sohn! Du weißt darum?" —
„Vier Männer sah ich, Mutter mein,
Gott selbst hat nicht so lichten Schein;
Die sagten mir von Ritterschaft. 235
Artus in seiner Königskraft
Verleiht die Rittersehren,
Soll sie auch mir gewähren." —
Da ging ein neuer Jammer an.
Sie wußte keinen Rat und sann: 240
Was sollte sie erdenken,
Sein Trachten abzulenken?
Das einzige, was er begehrt
Und immer wieder, ist ein Pferd.
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