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Kindern war verboten, aus dem Hause zu gehn; der Vater hatte keine
Ruhe und ging aus. Die Schlacht begann; ich stieg auf den obersten
Boden, wo ich zwar die Gegend zu sehen verhindert war, aber den Donner
der Kanonen und das Massenfeuer des kleinen Gewehrs recht gut ver-
5 nehmen konnte. Nach einigen Stunden sahen wir die ersten Zeichen der
Schlacht an einer Reihe Wagen, aus welchen Verwundete in mancherlei
traurigen Verstümmelungen und Gebärden sachte bei uns vorbeigefahren
wurden, um in das zum Lazarett umgewandelte Liebfrauenkloster gebracht
zu werden. Sogleich regte sich die Barmherzigkeit der Bürger. Bier, Wein,
10 Brot, Geld ward denjenigen hingereicht, die noch etwas empfangen konnten.
Als man aber einige Zeit darauf blessierte und gefangene Deutsche unter
diesem Zug gewahr wurde, fand das Mitleid keine Grenze, und es schien,
als wollte jeder sich von allem entblößen, was er nur Bewegliches besaß,
um seinen bedrängten Landsleuten beizustehn.
15 Diese Gefangenen waren jedoch Anzeichen einer für die Alliierten
unglücklichen Schlacht. Mein Vater, in seiner Parteilichkeit ganz sicher,
daß diese gewinnen würden, hatte die leidenschaftliche Verwegenheit, den
gehofften Siegern entgegenzugehen, ohne zu bedenken, daß die geschlagene
Partei erst über ihn wegfliehen müßte. Erst begab er sich in seinen Garten
20 vor dem Friedberger Tore, wo er alles einsam und ruhig fand; dann
wagte er sich auf die Bornheimer Heide, wo er aber bald verschiedene zer¬
streute Nachzügler und Troßknechte ansichtig ward, die sich den Spaß machten,
nach den Grenzsteinen zu schießen, so daß dem neugierigen Wandrer das
abprallende Blei um den Kopf sauste. Er hielt es deshalb doch für geratner
25 zurückzugehn, und erfuhr bei einiger Nachfrage, was ihm schon der Schall
des Feuerns hätte klar machen sollen, daß alles für die Franzosen gut stehe
und an kein Weichen zu denken sei. Nach Hause gekommen, voll Unmut,
geriet er beim Erblicken der verwundeten und gefangenen Landsleute ganz
aus der gewöhnlichen Fassung. Auch er ließ den Vorbeiziehenden mancherlei
30 Spende reichen; aber nur die Deutschen sollten sie erhalten, welches nicht
immer möglich war, weil das Schicksal Freunde und Feinde zusammen
aufgepackt hatte.
Die Mutter und wir Kinder, die wir schon früher aus des Grafen
Wort gebaut und deshalb einen ziemlich beruhigten Tag hingebracht hatten,
35 waren höchlich erfreut und die Mutter doppelt getröstet, da sie des Morgens,
als sie das Orakel ihres Schatzküstleins durch einen Nadelstich befragt, eine
für die Gegenwart sowohl als für die Zukunft sehr tröstliche Antwort er¬
halten hatte. Wir wünschten unserm Vater gleichen Glauben und gleiche
Gesinnung, wir schmeichelten ihm, was wir konnten, wir baten ihn, etwas
40 Speise zu sich zu nehmen, die er den ganzen Tag entbehrt hatte; er ver¬
weigerte unsre Liebkosungen und jeden Genuß und begab sich auf sein
Zimmer. Unsre Freude ward indessen nicht gestört; die Sache war ent¬
schieden; der Königsleutnant, der diesen Tag gegen seine Gewohnheit zu