Full text: [Band 4, [Schülerband]] (Band 4, [Schülerband])

88 
verflochten sind alle diese Ideen, von denen sie das Resultat ist? was setzen 
sie sür seine Begriffe schon wieder voraus von Ordnung, Maß, Proportion? 
Und diese Begriffe was sür eine Reihe Bemerkungen, Sitten, Konvenanzen 
wieder? wie ändern sie sich also nach diesen Konvenanzen nach Ort, Zeit, 
5 Völkern, Nationen, Jahrhunderten, Geschmacksarten? wieviel Weisheit gehört 
also dazu, einer Jugendseele die ersten Eindrücke des Schönen in Formen, 
Gestalten, Körpern, Tönen richtig zu machen! ihn noch nichts von Schön¬ 
heit überhaupt reden, sondern nur das einzelne, jedes beste Schöne in seiner 
Art begreifen lassen! ihn allmählich von einem simpeln Gegenstände zu 
10 einem mehr verflochtenen führen! von Bildhauerkunst zur Malerei, von 
einfach schöner Musik zu einfach schönen Tänzen! lebendige Gestalt wird er 
sich selbst suchen, nur laßt uns seine Seele so zur Richtigkeit der Begriffe 
und sein Herz zur Richtigkeit der Tugend gewöhnen, daß er auch in dieser 
so komplizierten Wahl noch richtig geht. 
15 Was sür einen Unterschied in der ganzen Doktrin gebe dies! Die 
ganze Moral ist ein Register feiner abstrakter Begriffe, alle Tugenden und 
Laster das Resultat vieler seiner Bemerkungen, feiner Situationen, seiner 
Fälle! Jahrhunderte, Gesellschaften, Konvenanzen, Religionen haben dazu 
beigetragen! Welche kindische Seele kann sie alle, indem sie das Wort 
20 hört und lernt, entziffern! Welcher Philosoph hat sie entziffert! Welcher 
lebendige Philosoph, wenn jener sie auch entziffert hätte, hätte sie so lebendig, 
uni sie anwenden zu können! um dem Strom von Sprache, Gesellschaft, 
feinem Unterricht widerstehn zu können, der auf eine Seele losstürmt! . . . 
Das Alter der Einbildungskraft ist leicht. Sie nimmt keine neue Bilder 
25 mehr an, sie wiederholt nur die vorigen. Noch ein anderes HöheresAlter: 
sie wiederholt sie auf einerlei Art. Das höchste endlich: sie wiederholt sie, 
oi)iie sie einmal völlig und ganz auszudrücken. Sie spricht wie mit schwacher 
Zunge wie im Traum. 
Alle Bilder, die wir sehen, malen sich in unser Auge, in unser Gehirn: 
30 da bleiben welche vielleicht materielle Spuren, das macht das Gedächtnis. 
Diese Spuren können aufgefrischt und zur idealen Gegenwart gebracht 
werden, das ist Imagination. Wie sie sich ins Gehirn malen? Physisch 
ist dies Problem noch nicht genug ausgelöst; die Bemerkungen, die Maupertuis 
vorschlägt mit dem Gehirn der Malefikanten, würden dazu helfen, und 
35 dann würde gleichsam die Welt materieller Ideen lebendig. Wie sie sich 
im Gehirn erhalten und nicht von andern ausgelöscht werden? Wie sie 
sich im Gehirn wieder aufwecken lassen? Das ist eine von den drei Un¬ 
begreiflichkeiten, die Skaliger nicht auslösen konnte — laßt uns die Meta¬ 
physik lassen und praktisch reden. 
40 So lange das Gehirn oder die Tafel der Seele weich und zart ist, 
alle neue Bilder mit aller Stärke, in allen Farben und Nuancen, mit aller 
Wahrheit, Neuigkeit und Biegsamkeit einzunehmen: da ist die weiche und 
wächserne Jugend der Seele! da fühlt ein Klopstock in seiner Kindheit alle
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.