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zerrissen: so hat diese Stimme einen Ausdruck für das Wohlgefühl der Zu¬
friedenheit wie für das Trübe der Sorge, für das Sehnen der Liebe wie
für den Zorn der Eifersucht, für jede Freude und jeden Schmerz. Soll
ich noch der Lust gedenken, mit welcher uns der erste Gruß der Lerche,
der Nachtigall so süß erschreckt? der Herzenserfrischung, wenn nach dunkeln
Tagen der hervorbrechende Sonnenstrahl dies leichtbewegte Volk zu neuen
Liedern weckt? Es ist klar: die Vögel geben dem schönen Antlitz der
Natur erst die wohllautende Stimme und damit den unsäglichen Reiz,
welchen dieses geistigste aller Körpervermögen auf den Menschen nie
aufhört zu üben.
17. Früh!»
Von Paul H e
1. Horch! Vom Hügel welch ein sanfter Klang
Säuselt fernher durch die nächtigen Schatten?
Elfenscharen ziehn den Wald entlang,
Die mit Klaggesang
Ihren Freund, den toten Lenz, bestatten.
2. Schöner Jüngling! Wie er lieblich ruht,
Schlummerstill auf seiner Veilchenbahre!
Allzuschwer mit sommerlicher Wut
Traf ihn Sonnenglut,
Und ihm sank das Haupt, das morgenklare.
3. Blumen in der Hand, die er geliebt,
Kleine, rote Fackeln leise schwingend,
Ziehn die Geister, die sein Tod betrübt,
Sonst im Flug geübt,
Heute schrittweis, Totenlieder singend.
4. Stumm in Wehmut schaut der Mond
herab,
Und es schluchzen alle Nachtigallen.
Wo er oftmals seine Feste gab,
Senkt man ihn hinab,
Und die bleichen Silberflore wallen.
e (geb. 1830).
5. Und ein Specht klopft an den Föhrenstamm
Und beginnt den Grabspruch ihm zu halten:
„Stillt die Tränen, tröstet euern Gram!
Der stirbt wonnesam,
Der in blühender Jugend darf erkalten.
6. Glaubet mir, der lang die Welt gesehn:
Den ihr heut hier unter Blumen bettet,
Neu und ewig wird er auferstehn.
Nimmer kann vergehn,
Wer die Welt aus Winterbanden rettet."
7. Als so weihevoll der Alte sprach,
Lauter schluchzte da das Grabgesinde,
Und die Elfenfürstin seufzt' ein „Ach!" —
Ihrem Liebling nach
Warf sie in die Gruft die gold'ne Binde.
8. Horch! Vom Hügel welch ein wilder
Klang?
Finster hat Gewölk den Mond verschüttet.
Ein Gewitter zieht den Wald entlang,
Und zerstoben bang
Ist das Häuflein, das den Lenz bestattet.
18. Die Liebe der Vögel zu fremden Jungen.
Eckermanns Gespräche mit Goethe.
«Sagen Sie mir», sprach Goethe zu Eckermann, «wird nicht der
junge Kuckuck, sobald er ausgeflogen ist, auch von andern Vögeln als
denen, die ihn gebrütet haben, gefüttert? Es ist mir, als hätte ich der¬
gleichen gehört.» —
«Es ist so», erwiderte Eckermann. «Sobald der junge Kuckuck sein
niederes Nest verlassen und einen Sitz etwa in dem Gipfel einer Eiche
genommen hat, läßt er einen lauten Ton hören, welcher sagt, daß er da
sei. Nun kommen alle kleinen Vögel der Nachbarschaft, die ihn gehört
haben, herbei, um ihn zu begrüßen. Es kommt die Grasmücke, es kommt
der Mönch, die gelbe Bachstelze fliegt hinauf, ja der Zaunkönig, dessen
Naturell es ist, beständig in niedern Hecken und dichten Gebüschen zu
schlüpfen, überwindet seine Natur und erhebt sich, dem geliebten An-