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viele Leute kamen, die das Wunder sehen wollten, verdroß es den Hauswirt, lies;
den Stein aus der Mauer brechen und ins Wasser werfen.
Klingsor aber, als er die Sänger versöhnt hatte, wollte nicht länger bleiben,
verabschiedete sich von dem Landgrafen, von dem er noch kostbare Kleider und
Kleinode zum Geschenk erhielt, und schied mit großem Dank von der Wartburg.
Wie er aber hinweggekommen, das wußte niemand.
B. Zur neuhochdeutschen Kiteratnr.
11. Dr. Martin Luther und die neuhochdeutsche Schriftsprache.
Von I. Weiß.
Die Sprache Luthers beansprucht unsere Aufmerksamkeit nicht allein um ihrer
selbst willen, sondern in ebenso hohem, ja höherem Grade wegen des Einflusses, den
dieselbe auf die neuhochdeutsche Schriftsprache ausgeübt hat. Die Vorstellung, daß
Luther diese Schriftsprache aus dem Nichts und dem Chaos widerstrebender Mund¬
arten geschaffen habe, muß man freilich als eine überwundene bezeichnen. Luther
ist nicht der Schöpfer, wohl aber der Begründer der neuhochdeutschen
Schriftsprache. Zur Lösung der Aufgabe, die ihm auf diesem Gebiete zufiel, war
er mit besonderen Eigenschaften ausgestattet. „Ich bin eines Bauern Sohn; mein
Vater, Großvater, Ahnherr sind rechte Bauern gewest", hat er von sich selbst gesagt.
Luthers lebendiges Gefühl für das, was im sprachlichen Ausdruck wahrhaft volks¬
tümlich gesund und kräftig ist, hat seine Wurzeln in dieser Abstammung.
Über das von ihm geschriebene Deutsch hat sich Luther an jener bekannten
Stelle der Tischreden geäußert, die überall, wo seine sprachgeschichtliche Bedeutung
erörtert oder auch nur gestreift wird, angeführt zu werden pflegt und zuweilen mi߬
verstanden worden ist. „Ich habe", sagt er, keine gewisse, sonderliche eigene Sprache
im Deutschen, sondern brauche der gemeinen deutschen Sprache, daß mich beide, Ober¬
und Niederländer, verstehen mögen. Ich rede nach der sächsischen Kanzlei, welcher
nachfolgen alle Fürsten und Könige in Deutschland. Alle Reichsstädte, Fürstenhöfe
schreiben nach der sächsischen und unseres Fürsten Kanzlei, darum ist's auch die ge¬
meinste deutsche Sprache. Kaiser Maximilian und Kurfürst Friedrich, Herzog zu
Sachsen, haben im römischen Reich die deutschen Sprachen also in eine gewisse
Sprache gezogen." Heinrich Rückert überträgt diese Worte gewiß richtig in unsere
heutige Ausdrucksweise: „Ich habe mir meine Sprache systematisch von allen lokalen
Einflüssen frei gemacht. Sie gehört feiner Mundart an, sondern dem ganzen Hoch¬
deutsch (würden wir sagen; Luther nennt es Gemeindeutsch). Dies ist aber keine
von mir geschaffene Fiktion, sondern eine Wirklichkeit; es gibt schon ein solches
Gemeindeutsch und zwar in den höchsten Regionen des Staates und der Geschäfte."
Weil Luther sich auf das Vorhandensein einer Gemeinsprache beruft, so will er
sich offenbar gegen den Vorwurf verwahren, daß seine Sprache ein Kunstprodukt sei.
Luthers Sprache knüpfte also an die bereits vorhandenen gemeinsprachlichen
Bestrebungen an, die sich in dem „gemeinen Teutsch" einerseits und in der Kanzlei¬
sprache andererseits zu verkörpern suchten und einen gewissen Grad allgemeiner
Gültigkeit bereits erlangt hatten. Auf diese Grundlage gestützt, erweiterte er seine
Sprachkenntnis immer mehr und brachte es durch fleißiges Studieren und Beobachten
des Volkscharakters dahin, ein sicheres, festes Sprachgebäude aufzubauen, welches für
die Ausbildung des Volkstümlichen von größter Bedeutung und Tragweite war, aber
auch den Bedürfnissen der Zeit Rechnung trug und eine schnelle Verbreitung der
Bildung ermöglichte. So war Luthers Sprache eine bewußte, selbständige Entwickelung
aus dem mühevoll gesammelten Material, eine mit Geschick und kritischem Geiste
unternommene Sichtung aus dem alten, vielfach verdorbenen Sprachschatze. Aus diese
Weise entstand eine reine und volltönende, innige und kräftige Sprache. „Luthers