Full text: Deutsches Lesebuch für Lehrer- und Lehrerinnen-Seminarien

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6. Adalbert von Khamisso (1781—1838), 
(eigentlich: Louis Charles Adelaide 
de Chamisso) wurde 1781 auf dem Schlosse 
Boncourt in der Champagne geboren. Als 1789 
in Frankreich die Revolution ausbrach, flohen 
die Eltern desselben nach Deutschland und kamen 
nach Berlin. Der junge Chamisso wurde Page 
der Königin Luise, trat dann in den preußischen 
Militärdienst und blieb in Deutschland, als seine 
Eltern wieder nach Frankreich zurückkehrten. Von 
1815—1818 nahm er an der Romanzowschen 
Erdumsegelung teil; nach der Rückkehr wurde 
er Aufseher des botanischen Gartens in Berlin. 
Er starb 1838. 
Obwohl von Geburt ein Franzose, „hat 
Chamisso doch frühzeitig in deutscher Sprache 
zu dichten begonnen. Wir können uns leicht 
denken, wie viele Schwierigkeiten er zu überwinden hatte. Ilm so mehr müssen wie 
die Leichtigkeit, die Reinheit, den Wohllaut seiner Sprache anerkennen" (F. Sehrwald). 
Als sein bestes Gedicht gilt „Das Schloß Boncourt", aus welchem wehmütige 
Jugenderinnerung und Liebe zur Heimat so deutlich spricht. „Die Bedeutung des 
Dichters liegt vor allem auf dem lyrisch-epischen Gebiet, da ist er stoffreich und 
vielseitig wie einer, da vermag er vollendete Erzählung mit großer Stimmungsgewalt zu 
einen (A. Bartels)". Alle dichterischen Formen von der an das deutsche Volkslied 
anklingenden bis zur kunstvollen Terzinenform, die durch ihn der deutschen Dichtung 
zu eigen geworden ist (vergl. „Salas y Gomez", III, Nr. 128), sind ihm geläufig. 
1. Das Schloß Boncourt. 
1. Ich träume als Kind mich zurücke 
Und schüttle mein greises Haupt; 
Wie sucht ihr mich heim, ihr Bilder, 
Die lang' ich vergessen geglaubt! 
2. Hoch ragt aus schatt'gen Gehegen 
Ein schimmerndes Schloß hervor; 
Ich kenne die Türme, die Zinnen, 
Die steinerne Brücke, das Tor. 
3. Es schauen vom Wappenschilds 
Die Löwen, so traulich mich an, 
Ich grüße die alten Bekannten 
Und eile den Burghof hinan. 
5. Ich trell in die Burgkapelle 
Und suche des Ahnherrn Grab; 
Dort islls, dort hängt vom Pfeiler 
Das alte Gewaffen herab. 
6. Noch lesen umflort die Augen 
Die Züge der Inschrift nicht, 
Wie hell durch die bunten Scheiben 
Das Licht darüber auch bricht. 
7. So stehst du, o Schloß meiner Väter, 
Mir treu und fest in dem Sinn 
Und bist von der Erde verschwunden, 
Der Pflng geht über dich hin. 
4. Dort liegt die Sphinx am Brunnen, 
Dort grünt der Feigenbaum, 
Dort, hinter diesen Fenstern, 
Verträumt' ich den ersten Traum. 
8. Sei fruchtbar, o teurer Boden! 
Ich segne dich mild und gerührt 
Und fegn' ihn zwiefach, wer immex. 
Den Pflug nun über dich führt. 
9. Ich aber will auf mich raffen, 
Mein Saitenspiel in der Hand, 
Tie Weiten der Erde durchschweifen 
Und singen von Land zu Land.
	        
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