Full text: Deutsches Lesebuch für Lehrer- und Lehrerinnen-Seminarien

I 
68 — 
Erhebt sich auf den Hinterbranten, 
Vom langen Fasten mager noch, 
Und wittert um die Felsenkanten. 
Und was im Winterschlafs lag 
Und an dem eigenen Fette zehrte, 
Das kommt hervor am warmen Tag, 
Der vor des Lagers Türe kehrte. 
Der Dachs schleicht wurzelnd aus dem Bau 
Und löset seines Hauses Riegel, 
Mißtrauisch windend durch den Tau 
Kommt augeschnuppert auch der Igel. 
Und die gescharrt im tiefen Schnee 
Und hung'rig hofften, daß er schmelze, 
Sie letzen sich am jungen Klee 
Und färben anders ihre Pelze. 
Blattknospen äst das Edelwild, 
Der Zwanzig-Ender hat geworfen, 
Die Sau reibt ihres Blattes Schild 
An moosbewachs'nen Eichenschorfen. 
Und wo sie wechseln, wo sie gehn, 
Jst's grün geworden auf den Bahnen, 
Im dust'gen Morgenwinde wehn 
Zum Frühlingseinzug alle Fahuen. 
Nun wölbt der Wald sein laubig Zelt 
Im Sonnenschein, im Glanz der Sterne, 
Und, eine lebensvolle Welt, 
Dehnt er sich in die blaue Ferne. 
(Aus „Der wilde Jäger.") 
3. Lin Maitag. 
Nach E. Ä. Roßmäßler (1806—1867). 
Drei Wochen haben Wunder getan. Der wetterwendische April nahm 
noch mit einigen Schneeschauern Abschied, daß man auf einige Stunden 
die weißen Blumen der Wiese von den Schneeflocken nicht unterscheiden 
konnte. Die Walpurgisnacht machte dem Dinge ein Ende, und die frostigen 
Heiligen ließen diesmal ihre Heimtücke. Der Boden ist auf lange Zeit 
hinlänglich getränkt; der volle Mühlbach treibt lustig das triefende Rad, 
über dem im hohen Wipfel der Linde der Star sein hölzernes Häuschen 
auf langer Stange nun für immer bezogen hat. Sein Weibchen im schlicht¬ 
grauen Alltagskleide trägt fleißig zu Neste, während er vom höchsten 
Zweige sich umschaut und sein wie im Stahlpanzer schillerndes knapp- 
und glattanliegendes Federkleid eitel in der Morgensonne glitzern läßt. 
Im Kieferwäldchen auf jener kleinen Anhöhe, mitten in Feldern und 
Wiesen, erheben die Saatkrähen ein mißtönendes Lärmen um ihre Horste, 
in denen die Jungen hocken, dem selbständigen Eintritt ins lustige, heitere 
Luftleben schon ganz nahe. 
Rings umher ist alles Glanz und Freude. Die Bäume wetteifern, 
einander im jungen, leuchtenden Blätterschmuck zu überbieten; doch sind 
sie nicht alle gleichweit damit gediehen. Die Eiche und Erle haben ihr 
Laubgewebe noch nicht fertig, während die Buche bereits in der vollen 
Pracht ihrer zarten Belaubung dasteht. 
Ein schöner Maitag in einem malerischen Tale des Vörgebirges ist 
Goldhähnchen zwitschert, Grünspecht klimmt 
Holzhackend, daß die Späne fliegen. 
Es zittern im Gesang und schnellen 
Die kleinen Kehlen auf und nieder, 
Aus jeder Vogelseele quell'n 
Nun tiefempfundene Liebeslieder. 
Und ist geworben und gefreit, 
Ließ sich vom Lenz das Pärchen trauen, 
So geht's in edlem Wettestreit 
Ans kunstgerechte Nesterbauen. 
Es stört sie nicht, daß aus dem Horst 
Den Wald durchhallt des Sperbers Schrei, 
In Schraubenlinien überin Forst 
Hoch schwebt und stolz der Gabelweih. 
Der späht in eine Felsenbucht, 
Aus der es ihm verlockend düstet, 
Unwegsam ist die finstre Schlucht, 
Zu tiefen Höhlen ganz zerklüftet. 
Da liegen mit der Ballen Filz 
Uralte, windgebroch'ne Fichten, 
Und Flechten wuchern, Schwamm und Pilz 
Am faulen Stamm in dicken Schichten. 
Der Brombeeif rankendes Genist 
Zieht um die Wildnis dichte Hecken, 
Far'nwedel eingerollt noch ist 
In bräunlich, rauh behaarte Schnecken. 
Hier haust der Bär, verläßt sein Loch,
	        
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