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vollkommen ausgefüllt; dennoch bestanden Schulen in vielen. Besonders berühmt war im
Anfang des dreizehnten Jahrhunderts diejenige der Prämonstratenser zu Mariengaard bei
Utrecht, welcher Abt Sibrand, selbst als Geschichtsschreiber bekannt, einen Gelehrten ausge⸗
zeichneten Rufes, namens Friedrich, vorsetzte. Da wurde neben dem Wesentlichsten und
Ersten aller höher gestellten Schulen, dem Unterrichte über die heiligen Bücher, weltliche Ge—
schichte gelehrt, wurden lateinische Dichter ausgelegt.
Diese Schulen standen jedem offen, nicht demjenigen allein, welcher dem Dienst der
Kirche sich widmen, in einen Orden eintreten wollte. Dieses beides mochte von Fortschritt,
Beruf, Neigung abhängen. Der Anfang wurde mit demjenigen gemacht, dessen Erfolg das
10 Fortschreiten auf der Bahn der Wissenschaft bedingt. Deswegen teilten sie sich in äußere und
innere, in niedere und höhere Schulen, wie man so auch die Ünterrichtsgegenstände teilte; in
jene (nach den unentbehrlichsten Anfangsgründen): von den sogenannten sieben freien Künsten
die drei ersten: Grammatik, Rhetorik und Dialektik; in diefe: Arithmetik, Geometrie, Musik
und Astronomie. In diese Abteilung wurden diejenigen hinübergenommen, welche in der
is ersteren genügt hatten; zuletzt denen, welche der Kirche sich widmen oder den Klosterstand er—
greifen wollten, Unterricht in Gottesgelehrtheit erteilt.
Der Aufenthalt, sowohl auf den bischöflichen als auf den Kloster⸗Schulen, dauerte oft lange.
Abt Joachim erzählt, daß er in der seinigen vierzehn Jahre der Grammatik obgelegen hade.
Oder es waren Männer, die sich bereits mit kirchlichen Würden bekleidet sahen, welche dieselben
ꝛo noch besuchten; wie Dompropst Albert von Magdeburg, als er zum Erzbischof erwählt wurde,
auf der Schule zu Köln sich befand. Daher es uns nicht befremden darf, daß die Schüler zu
Lauterberg ihren Lehrmeister, dessen strenge Zucht sie nicht ertragen mochten, einst durchprügel⸗
ten, hierauf wegen verfügter Bestrafung auf Rache sannen, oder was dem Schulvorsteher zu
Adelberg noch Schlimmeres geschah.
aæ Waren unverkennbar die Schulen aus der Kirche und für die Kirche hervorgegangen, hatte
hierdurch alles, was in wissenschaftlicher Beziehung in diesen Jahrhunderten getan und geleistet
wurde, die letzte Wurzel in der Kirche, so bestanden doch außer den Dom- und Klosterschulen
noch andere. Schon Abt Guibert von Nogent bezeugt, daß es in Frankreich keine Stadt und
keinen Flecken gebe, in denen nicht eine Schule offenstünde, wodurch auch Leute geringer Her—
z0 kunft Gelegenheit fanden, sich unterrichten zu lassen; was vielleicht Ursache geworden ist, daß
Frankreich der fruchtbare Boden der Schriftsteller genannt werden durfte, und von Neueren nicht
allein behauptet, sondern bewiesen wird, daß von Karls des Großen Zeiten an kein Jahrhundert
eine so unglaubliche Zahl wissenschaftlich gebildeter Männer hervorgebracht habe, wie das zwölfte,
und daß dasselbe einen erstaunlichen Reichtum von Schriften über alle Gegenstände, eine
a6s große Zahl der ausgezeichnetsten Geister aufweisen könne. Darum mochte mehr als einer der
echten Pfleger der Wissenschaft die Überzeugung in sich tragen: „Nur Schriftwerke mögen dem
Sterblichen unsterblichen Ruf bereiten, der über Wasserflut, aus Feuerswut, durch Erdbeben
und den Verlauf der Jahrhunderte unvertilgbar sich erhebt. Durch nichts können Fürsten und
alle, welche die Weltgeschichte lenken, ihren Ruhm besser sichern, als wenn sie diejenigen sich zu
o Freunden machen, welche die Gewandtheit besitzen, durch ihre Schriften verrichtete Taten zur
Kenntnis der Nachwelt gelangen zu lassen.“
Paris hatte mehrere Stadtschulen, London schon unter Heinrich II. deren drei; römische
Schriftsteller wurden auf denselben gelesen, und von den Vorangeschrittenen je Sonntags nach⸗
mittags förmliche Disputationen gehalten. Einer andern, welche am Ende des zwölften
Jahrhunderts blühte, wird mit besonderem Lob gedacht. Aber auch zur Gründung dieser
Schulen hat die Fürsorge der Kirche den Antrieb gegeben. Ein Mainzer Konzil von der
Mitte des neunten Jahrhunderts verfügt: die Kinder sollen entweder den Schulen der
Klöster, oder denjenigen der Pfarrer übergeben werden, damit sie mindestens den Glauben
und das Gebet des Herrn in ihrer Muttersprache lernen. Bischof Theodulph von Orleans
so erließ die Verordnung: die Priester in den Städten und Dörfern sollten Schulen halten und
keinen Knaben, der ihren Unterricht verlange, zurückweisen. Sie dürften aber hierfür nichts
fordern; gäben die Eltern aus Liebe und freiwillig etwas, so möchten sie es mit Dank an—