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Kraft im Augenblick des Stoßes gab. Man ritt dabei nicht „Stapfes oder Drabs" (im Schritt
oder Trab); es gehörte Kunst dazu, zu rechter Zeit aus Galopp in gestreckten Lauf, oder wie man
damals sagte, aus dem Walap in die Rabbine zu treiben. Der Anlauf war „kurz" oder „lang";
der lange erforderte größere Sicherheit in Führung des Rosses und Speeres, aber er war natürlich
5 wirksamer. Es war Spielregel, bei diesem Rennen den „Hurt", das Zusammenprallen der Reiter
und der Rosse, zu vermeiden, und der Reiter mußte verstehen, nach dem „Stich" rechts abzubiegen,
wenn er nicht die bösliche Absicht hatte, den Gegner zu überrennen, was am leichtesten geschah,
wenn er schräge auf ihn hielt. Die „rechte Tjost" aber war, daß man in gerader Linie Stirn
gegen Stirn aufeinander stieß; in diesem Falle traf der Speer die Schildseite des anderen; war
10 der Anlauf von beiden Seiten gleich kräftig und der Stich ohne Fehlen, so kamen trotz der Schwen¬
kung die Kämpfer häufig einander so nah, daß Schild an Schild stieß und die Kniee geklemmt
wurden. Der Stoß wurde wirksamer, aber schwieriger, je höher er gerichtet war; den oberen Rand
des Schildes treffen, wo er sich mit dem Helm berührte, oder den Helm selbst, galt für den besten
Stoß; das ungepanzerte Roß zu treffen, war große Ungeschicklichkeit. Wer dem Gegner besondere
15 Artigkeit erweisen wollte, hob beim Nennen seinen Speer aus der Auflage und schlug ihn unter
den Arm. Solchem Stich ohne Auflage begegnete der andere dadurch, daß er das gleiche that,
oder mit größerem Selbstgefühl, wenn er seinen Speer auf dem Schenkel hochhielt und gar nicht
gegenstach. Es scheint, daß im Ansang des dreizehnten Jahrhunderts die Länge und Schwere
des Speeres nicht vorgeschrieben war, denn es werden unmäßig große Speere erwähnt. Wer zum
20 Spielkampf sich bereit erklärte, band den Helm auf dem Haupte fest und senkte den Speer; wer
den Helm abband, schied aus dem Spiel.
Dieser Einzelkampf war die häufigste Ritterfreude; zu ihm wurde durch Boten und Briefe
von Kampflustigen aufgefordert; er fehlte bei keinem Hoffest. Als im Jahre 1224 Leopold von
Östreich hadernde Parteien zu einem Sühnetag nach Freisach eingeladen hatte, benutzten zwei
25 junge Lichtensteiner die Gelegenheit, zu Ehren edler Frauen Ritterschaft zu prüfen, und forderten
zur Tjost in der Nähe der Stadt heraus. Da ritt alles auf das Fest, um zu sehen, und vergaß
Tage lang die Verhandlungen, bis die Bischöfe sich bitter beklagten und der Herzog sich zuletzt
nicht anders zu helfen wußte, als daß er selbst ein großes Turnier ansagte, wo die Versammelten
einander in Masse zerstechen konnten.
30 Das Speerstechen war in den altheimischen Volksspielen geübt worden, wenn bei Beginn des
Frühjahrs Sommer und Winter verkleidet mit einander kämpften, der Maigraf aus der Wald¬
lichtung mit seinem reisigen Gefolge in das Dorf einritt. Über das dreizehnte Jahrhundert hinaus
blieb der Mai und Pfingsten die lustige Festzeit der ritterlichen Kämpfer; auch der Brauch erhielt
sich, daß die herausfordernde Partei in der Lichtung eines Gehölzes, durch das Laub verborgen,
35 sich rüstete und plötzlich in buntem Schmuck aus dem grünen Vorhang in die Ebene hinausritt.
Auch wer Abenteuer, Verkleidung, Überraschung beabsichtigte, als Fremder in einen Rennverein
eintreten wollte, wählte das Laubversteck. Er sandte einen Knappen heraus, welcher ihn artig mit
den Worten anmeldete: „Mein Herr begehrt Ritterschaft an Euch." Kam die Antwort: „Sie
wird ihm gewährt, wie er sie auch begehrt", so tauchte der Ritter selbst, in seinem schönen Waffen-
40 kleide, mit gebundenem Helm hervor, nach gefälliger Annahme sämtlicher Beteiligten durchaus
unkenntlich; er zerstach seine Speere und deutete durch Rückzug in das Gehölz an, daß er wieder
verschwinde.
Ein Haufenspiel zu Roß war der „Buhurt," wahrscheinlich die älteste der ritterlichen Übungen.
Die Reitenden teilten sich in Parteien und zogen sich in schnellem Lauf durcheinander. Hier war
45 die Reitkunst und im Vorbeifliegen der Zusammenstoß der Schilde und das geräuschvolle Brechen
leichter Speere an entgegengehaltenen Schilden die Hauptsache; er wurde deshalb auch wohl mit
Stäben geritten. Das behende Wenden im engen Raum und das laute Dröhnen von Schild und
Speer war ihm charakteristisch: dabei klang gewaltig der Ruf: Hurta, hurta (drauf)! Der Buhurt
war Ausdruck kriegerischer Freude, Begrüßung eines geehrten Gastes, auch in den Stadtgassen
50 und im geschlossenen Hof; er erhielt sich aber nicht über die erste Hälfte des dreizehnten Jahr¬
hunderts; später werden beim Empfang geehrter Gäste nur einige Tjoste geritten.
Das größte Ritterfest war der „Turney", ein Massenkampf in abgestecktem Raum, die