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53. Freundschaft.
Fr. Bodenstedt.
Wenn jemand schlecht von deinem Freunde spricht,
Und scheint er noch so ehrlich, glaub ihm nicht!
5 Spricht alle Welt von deinem Freunde schlecht,
Mißtrau der Welt und gieb dem Freunde recht!
Nur wer so standhaft seine Freunde liebt,
Ist wert, daß ihm der Himmel Freunde giebt.
Ein Freundesherz ist ein so seltner Schatz,
10 Die ganze Welt beut nicht dafür Ersatz;
Ein Kleinod ist's voll heil'ger Wunderkraft,
Das nur bei festem Glauben Wunder schafft;
Doch jedes Zweifels Hauch trübt seinen Glanz,
Einmal zerbrochen, wird's nie wieder ganz.
15 Drum: wird ein solches Kleinod dir beschert,
O trübe seinen Glanz nicht, halt es wert!
Zerbrich es nicht! Betrachte alle Welt
Als einen Ring nur, der dies Kleinod hält,
Dem dieses Kleinod selbst erst Wert verleiht!
20 Denn wo es fehlt, da ist die Welt entweiht.
Doch würdest du dem ärmsten Bettler gleich,
Bleibt dir ein Freundesherz, so bist du reich;
Und wer den höchsten Königsthron gewann
Und keinen Freund hat, ist ein armer Mann.
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54. Die Däume.
L. Hensel.
Wohl alle Werke meines Herrn
Sind ganz vollkommen schön,
Doch mag ich fast vor allen gern
30 Die lieben Bäume seh'n.
Sie lehren mich manch heilsam Stück
Für meinen Pilgerlauf,
Und zieh'n wohl oftmals meinen Blick
Zum Himmel hoch hinauf.
35 Die alte, hohe Eiche spricht:
„Sei stark, o Menschenherz!
Im Glauben steh und wanke nicht
Und streck dich himmelwärts."
Die Linde sagt: „Sei mild gesinnt,
40 Sei friedlich, sonder Harm,
Und breite jedem Müden lind
Den schattenreichen Arm"
Mir winkt der Apfelbäume Frucht:
»Dein Glaube sei nicht Schein,
Und wenn der Gärtner Früchte sucht,
So ernt' er reichlich ein."
Die Tanne rauscht: „Sei ernst, sei treu,
O Seel' in Freud' und Weh;
Dasselbe Kleid im linden Mai,
Dasselb' in Sturm und Schnee."
Doch Birke, du mein liebster Baum,
In bräutlich schönster Zier,
Erblick ich dich im weiten Raum,
So lacht das Herz in mir.
Im weißen Kleid, in grüner Krön,
O Bäumlein, stehst du hier; —
O ständ' ich, Herr! an deinem Thron
Dereinst in solcher Zier! —
Ihr lieben Bäume, mahnet noch
Recht oft mein irdisch Herz
Und wendet meine Seele doch
In Sehnsucht himmelwärts.