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und gar manchmal schaute er verächtlich auf diese neue Zeit, wo der streitbare
Mann dem demütigen Mönch und dem zahmen Bauern zu weichen begann. Sein
Großvater hatte als Knabe noch den Dienst der alten Götter im heiligen Haine
gesehen. Welche Götter waren denn besser, die alten oder die neuen? Mit den
alten Göttern war auch die gute alte Zeit entwichen. Und wie zur Strafe kamen
jetzt lange Jahre der Trübsal heraufgezogen, und der neue Christengott hatte nicht
Macht oder Lust, den Jammer von seinem Volke zu nehmen. So dachte der Mann
aus dem Fulder Land. Er wollte sich selber helfen mit oder ohne Gottes Hilfe,
nach der Väter Weise kraft der eigenen Faust.
Darum gürtete er eines Nachts sein Schwert und entfloh von seinem Gute,
das nicht mehr sein war, um zugleich der Gewalt des neuen Herrn zu entfliehen.
Er nahm nichts mit als seine drei köstlichen Besitztümer: sein Weib, sein Kind und
sein Schwert. Und weil es mitten im härtesten Winter war, so schlugen die Flücht¬
linge warme Felle als Mäntel über ihr Gewand. Aber weder Speise noch Geld
oder Kleinodien konnten sie auf den Weg nehmen in dieser armen Zeit.
Sie gedachten aber gegen den oberen Main zu ziehen und von da überzudringen
nach Thüringen und Sachsen. Das war ein kühnes Beginnen, denn der Weg ging
mitten durch ein vom Feinde verwüstetes, ausgehungertes Land, und es war in den
rauhesten kurzen Tagen vor dem Jahreswechsel. Aber die Flüchtlinge waren auch
hartgebackene Leute, wetterfest, mit Stahl in den Gliedern und einem wider den
Hunger gepichten Magen.
Es war am Silvesterabend, dem Abende des dritten Tages, seit der Mann
aus dem Fulder Land mit Weib und Kind fliehend ins Weite irrte. Das Kind
aber war zwei Jahre alt und trank noch immer an der Mutter Brust; denn so zog
dieses starke Geschlecht starke Nachkommen groß. Mann und Weib trugen das Kind
wechselweise und hüllten es fürsorglich in ihre warmen Felle.
Der Tag war grimmig kalt gewesen. Eisiger noch brach der frühe Abend
herein. In den Waldbergen der Rhön hatten sich die Wanderer verlaufen und
nur am ersten Tage von der Gastfreundschaft eines selber halbverhungerten Bauern
einen mageren Bissen erhalten. Hungrig hatten sie sich schon gestern abend im
Schnee des Waldes gebettet.
Am anderen Morgen schritt der Mann noch guten Mutes rüstig aus; denn
wer aus der Knechtschaft zur Freiheit wandert, der spürt die Mühsale des Weges
nicht. Schweigend, im treuen Duldermut des Weibes zog die Genossin nebenher,
das schlummernde Kind im Arme. Aber am Mittage halten sie sich verirrt in den
Schluchten des Gebirges; der Abend schlich heran, und nirgends ließ sich der Rauch
einer Hütte erspähen. Nur die Spuren des Wildes und der Raubtiere kreuzten
sich im Schnee, und noch hatte den ganzen Tag nicht ein einziges Mal das tröstliche
Wahrzeichen menschlicher Fußtapfen den Mut der Wanderer belebt. Häufiger wachte
das Kind auf, weinte stärker und länger und stammelte seine bittenden Laute, denn
auch ihm konnte die Mutier schon nicht mehr Nahrung genug spenden.
Da begann es dem Mann zuweilen vor den Augen zu schwimmen, und es
war ihm, als bräche mit einem Schlag sein ganzer Mut zusammen. Doch nur