6. Durch alle Gau'n der freien Sachsen
Ergeht sich stolz das Riesenkind;
Es sieht, wie sonst, die Eichen wachsen,
Doch sucht es seinen Wittekind!
6 Und denkt es der gesunknen Helden,
Dann zögert es im raschen Lauf
Und wünscht, was alte Sagen melden,
Herauf, aus seiner Flut herauf.
7. So nah dem hochbeglückten Lande,
'.o Wo Zwingherrnblut die Erde trank
Und nach gelöstem Sklavenbande
Das Römerjoch zu Boden sank,
Vernimm, o Weser, unsre Grüße,
Sie sollen jubelnd zu dir ziehn!
rz Voll Ernst und stiller Würde fließe,
Du Freiheitsstrom, zum Weltmeer hin!
8. Es sei der Od er jetzt gesungen
Der letzte, schallende Gesang ;
Einst hat ja laut um sie geklungen
Das deutsche Volk im Waffenklang.
Als es sich still und stark erhoben
In seiner ganzen Riesenmacht,
Da half der Helfer ihm von oben,
Geschlagen ward die Völkerschlacht.
9. So rauscht, ihr Ströme, denn zusammen
In ein gewaltig Heldenlied;
Zum Himmel schlagt, ihr hellen Flammen,
Die ihr im tiefsten Herzen glüht!
Eins wollen wir uns treu bewahren,
Doch eins erwerben auch zugleich;
Du, Herr, beschütz es vor Gefahren,
Und zu uns komm' dein freies Reich!
66. Der Hahn.
Von H. O. Len).
Dkmrirmützige Naturgeschichte. Bearbeitet von O. Burbach. Gotha 1875. Bd. II, S. 408.
w Ein recht schöner, stolzer und kühner Hahn ist unter allen Vögeln der inter¬
essanteste. Hoch trägt er sein gekröntes Haupt, nach allen Seiten spähen seine feu¬
rigen Augen, unvermutet überrascht ihn keine Gefahr, und jeder möchte er Trotz
bieten. Wehe jedem Nebenbuhler, der es wagt, sich unter seine Hennen zu mischen,
und wehe jedem Menschen, der es wagt, in seiner Gegenwart ihm eine seiner Ge-
u liebten zu rauben! Alle seine Gedanken weiß er durch verschiedene Töne und ver¬
schiedene Stellungen seines Körpers auszudrücken. Bald hört man ihn mit lauter
Stimme seine Lieben rufen, wenn er ein Körnchen gefunden hat, denn er teilt mit
ihnen jeden Fund; bald sieht man ihn in einem Eckchen kauern, wo er eifrig bemüht
ist, ein Nestchen für die Henne zu bilden, die er vor allen liebt. Jetzt zieht er
»»an der Spitze seiner Schar, deren Beschützer und Führer er ist, hinaus ins Freie;
aber kaum hat er hundert Schritt getan, so hört er vom Stalle her den freudigen
Ruf einer Henne, welche verkündet, daß sie ein Ei gelegt hat; spornstreichs kehrt er
zurück, begrüßt sie mit zärtlichen Blicken, stimmt in ihren Freudenruf ein und eilt
dann im vollen Laufe dem ausgezogenen Heere nach, um sich wieder an dessen Spitze
»5 zu stellen. Die geringste Veränderung der Luft fühlt er und verkündet sie durch sein
lautes Krähen. Mit lautem Krähen verkündet er auch den anbrechenden Morgen
und weckt den fleißigen Landmann zu neuer Arbeit. Ist er auf eine Mauer oder
ein Dach geflogen, so schlägt er die Flügel kräftig zusammen und kräht und scheint
sagen zu wollen: „Hier bin ich Herr, wer wagt's mit mir?" Ist er von einem Men¬
schen gejagt worden, oder hat er sonst eine Gefahr glücklich bestanden, so kräht er
wieder aus Leibeskräften und verhöhnt wenigstens den Feind, dem er nicht schaden
kann. Am schönsten entfaltet er seine ganze Pracht, wenn er frühmorgens, der
langen Ruhe müde, das Hühnerhaus verläßt und vor demselben die ihm nachfolgenden
Hennen freudig begrüßt; aber noch schöner und stolzer erscheint er in dem Augen-
*6 blicke, wo das Geschrei eines ihm unbekannten Hahnes seine Ohren trifft. Er horcht,
senkt die Flügel , richtet den Kopf kühn empor, schlägt mit den Flügeln und fordert
mit lautem Krähen zum Kampfe. Erblickt er den Feind, so rückt er ihm, sei er
groß oder klein, mutig entgegen, oder stürzt im vollen Laufe auf ihn zu. Jetzt
treffen sie zusammen; die Halsfedern sind aufgerichtet und bilden einen Schild, die
^ Augen sprühen Feuer, und jeder sucht den andern niederzuschmettern, indem er mit
aller Macht gegen ihn springt. Jeder sucht ein höheres Plätzchen zu gewinnen, uw