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13. Und als eS kam zum Wandern,
Ging jeder in zornigem Mut,
Sah keiner nach dem andern,
Und waren sich jüngst so gut.
14. Ihr Brüder, lernt das eine
Aus dieser schlimmen Fahrt:
Zankt, wenn ihr sitzt beim Weine,
Nicht um deS Kaisers Bart!
107. Der alte Landmann an seine« Sohn. (1775.)
Von L. Hölty.
Gedichte. Herausgegeben von S. Halm. Leipzig 186». S. 189. (Gekürzt.)
1. Üb immer Treu' und Redlichkeit
Bis an dein kühles Grab
ro Und weiche keinen Finger breit
Von Gottes Wegen ab!
Dann wirst du, wie auf grünen Au'n,
Durchs Pilgerleben gehn;
Dann kannst du sonder Furcht und Grau'n
Dem Tod ins Auge sehn.
2. Dann wird die Sichel und der Pstug
In deiner Hand so leicht;
Dann singest du beim Wasserkrug,
Als wär' dir Wein gereicht.
A Dem Bösewicht wird alles schwer,
Er tue, was er tu':
Der Teufel treibt ihn hin und her
Und läßt ihm keine Ruh'.
3. Der schöne Frühling lacht ihm mcht,
Ihm lacht kein Ährenfeld;
Er ist auf Lug und Trug erpicht
Und wünscht sich nichts als Geld.
Der Wind im Hain. das Laub am Baum
Saust ihm Entsetzen zu;
Er findet nach des Lebens Traum
Im Grabe keine Ruh'. . . .
8. Üb immer Treu' und Redlichkeit
Bis an dein kühles Grab
Und weiche keinen Finger breit
Von Gottes Wegen ab!
Dann suchen Enkel deine Gruft
Und weinen Tränen drauf,
Und Sommerblumen voll von Duft,
Blühn aus den Tränen auf.
108. Vater nnser, -er -u bist im Himmel. (1844.)
25 Von Ä. Ltol;.
Gesammelte Werke. Frei bürg i. Br. 1885. Bd. IV (Das Vaterunser und der unendliche Gruß). S. 12. IS. (Gekürzt.)
„Vater unser, der du bist in dem Himmel." So fängt das Gebet an, das der Herr
selber aus dem Himmel herunter auf die Erde gebracht und bei den Menschen eingeführt hat,
Und wenn dieses Gebet nicht länger und nicht kürzer wäre, als was davon oben geschrieben
3o ist, so daß es nur hieße: „Vater unser, der du bist in dem Himmel, Amen", so
wäre es doch das allerkostbarste Gebet, was uns der Herr lehren konnte. Denn es ist schon
der größte Trost, den man sich denken kann, in diesem Wort verborgen und lugt zwischen den
Spalten heraus ganz hell. Halte nur allezeit fest daran, und glaub und hoff und bet, daß
Gott dein Vate r ist, und tue darnach, dann bist du nie und nimmermehr verlassen und
K ohne Schutz. Das ist kein Vater, der weit hinweg ist und an den du erst einen Brief schreiben
und auf die Post legen und lang warten mußt, bis Antwort kommt. Du magst in der Gar¬
nison sein, oder auf dem Weg nach Amerika schiffen, oder im Ungerland Arbeit suchen als
Seifensiedergesell: sieh, er ist dir allenthalben nah, so innig nah, näher noch als diese Schrift,
die du in der Hand hältst. Ja, wende ihm auch jetzt einen Augenblick einen frommen Ge-
danken zu, bevor du weiter liesest, weil er ja bei dir ist und auch jetzt willig auf dich
hört.-Und das ist nicht ein Vater, der am Bett sitzt, wenn du krank bist, und sagt:
„Ich wollte dir gern helfen, wenn ich nur könnte" — oder der zur bedrängten Witfrau
sagt: „Hab' selbst Frau und Kinder und Schulden, kann mich nicht um dich annehmen" —
oder bei dem du riskierst, daß dich der Unteroffizier noch ärger malträtiert, wenn du es Ihm,
4» dem Hauptmann über Himmel und Erde, klagst, — sondern das ist ein reicher, allgewaltiger
Herr und Gott, welcher mit Macht in alles hineingreift; es ist ihm nichts zu groß und nichts
zu klein. . . .
Und nun, bedenk es, du Mensch, zu diesem großen, herrlichen Gott sagst du: „Vater
unser!" Probier es einmal und sag nur zu einem Grafen oder Fürsten, wenn er einher-
5» stolziert: „Vater!" Es hat bisweilen hier und da schon einen gegeben, der es wohl gelitte«