Full text: Für Seminarvorbereitungsanstalten und Fortbildungsschulen (Bd. 1 = Vorstufe, [Schülerband])

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Alche gewöhnlich bis acht Uhr geenvigt waren, trank er Kaffee und griff zu seiner 
Möte, worauf er wohl zwei Stunden lang blies und dabei von einem Zimmer ins 
andere spazierte. Mitten in diesen Phantasieen, begeistert von den sanften Tönen 
be.r Flöte, fand seine Seele, wie er selbst erzählt, oft die glücklichsten Gedanken und 
Umfalle über wichtige Gegenstände und Regierungsangelegenheiten. Sobald er die s 
Flöte weglegte, traten die Kabinettsräte mit ihren Exzerpten herein. Wenn er diese 
durchgelesen und dem Kommandanten die Parole gegeben hatte, so ließ er diejenigen 
Kabinettsräte, welche den mündlichen Vortrag bei ihm hatten, hereinkommen und 
Me ihnen, was auf jeden Brief geantwortet werden sollte. Seine Äußerungen 
herüber waren so deutlich, bestimmt und ausführlich, daß die Räte weiter nichts » 
"ln durften, als seine Antwort bloß in die gehörigen Formalitäten einzukleiden. 
schrieb er auch ein paar lakonische Worte an den Rand. So sehr er die 
deutsche Sprache verachtete, so verlangte er doch nie ausdrücklich französische Be¬ 
ichte, und auf alles deutsch Eingereichte gab er eine deutsche Antwort. Alles ward 
Pünktlichkeit und Kürze abgemacht. Nach der Beendigung der Kabinettsgeschäfte 
J°8 er die Uniform an, schrieb an seine Familie, oder las mit lauter, reiner und 
deutlicher Sümme laut in einem Buche, spielte auch wohl, wenn es die Zeit er¬ 
laubte, noch einige Konzerte auf der Flöte. Mit dem Schlage 12 Uhr ging er in 
dkr Regel zur Tafel. Gleich nach derselben blies er wieder eine halbe Stunde auf 
der Flöte, dann unterzeichnete er die unterdes im Kabinett abgefaßten Briefe und *> 
Aank Kaffee. Jetzt las er wieder eine halbe Stunde für sich, ungefähr bis 5 Uhr. 
vlerauf kam sein sogenannter Vorleser (einen wirklichen, den er auch dafür besoldete, 
?ahm er erst zwei Jahre vor seinem Tode an), mehr, um sich mit ihm über wissen¬ 
schaftliche Dinge zu unterhalten, als sich von ihm vorlesen zu lassen. Beschäftigte 
** sich aber mit schriftstellerischen Arbeiten, so wendete er diese Zeit dazu an. Um ** 
^Uhr fing das Konzert seiner Kammermusiker an, in welchem er gewöhnlich drei 
Aoli spielte, auch wohl zuweilen eines von Quanz, Duport oder einem andern 
Hustler hörte, wobei aber kein Nichtmusiker zugelassen ward. Nach diesem ging die 
Abendmahlzeit an, wo er in geistreicher Gesellschaft die übrige Tageszeit beschloß, 
^om Siebenjährigen Kriege ab verwandelten sich die Abend - Tischstunden in Lese-30 
Itunben, in denen er sich mit einem zu sich gerufenen Gelehrten über das Gelesene 
unterhielt. 
Von seinen Geistesfähigkeiten und Kenntnissen gab er in Staats- und Kriegs- 
Nchäften die ehrenvollsten Beweise, wie die Menge seiner mündlichen und schrift- 
achen Antworten und Bescheide, die Schnelligkeit seines fast immer treffenden Ver- » 
® und Witzes betätigen. Sein Gedächtnis war von außerordentlicher Stärke. — 
gewöhnlich sprach und schrieb er französisch; die auswärtigen Staatsgeschäfte und 
uer Briefwechsel mit seinen Kabinettsministern und Gesandten, jedoch mit Ausnahme 
deutschen Reichssachen, wurden in dieser Sprache geführt und abgehandelt, 
/putsch verstand er unvollkommen und redete es schlecht, welches um so weniger zu 40 
^wundern ist, da er keine Bücher in dieser Sprache las, keine wissenschaftlichen 
Unterredungen in ihr anstellte, keinen Umgang mit Gelehrten dieser Nation unterhielt; 
mnoch sprach er Deutsch, wenn es nötig war, oder die Anwesenden kein Französisch 
Erstanden. Seine Verachtung gegen die deutsche Sprache — die er, ebenso wie 
u!!l französische, höchst unorthographisch schrieb — rührte aus Unkunde und aus Vor- « 
ftetl her, da er die irrige Meinung hegte, daß die deutsche Literatur noch auf der 
lederen Stufe der Roheit und Geschmacklosigkeit stehe, auf welcher sie sich zur Zeit 
> wer Jugend befunden hatte. Nur in Ansehung der Philosophie räumte er der 
Ȁtschen Natton den Ruhm der Tieffinnigkeit und des Scharfsinnes ein; von den 
Origen Zweigen der Gelehrsamkeit gab er nur das zu, daß sich die Deutschen die ^ 
^ ^üge der Griechen und Römer, der Franzosen, Engländer und Italiener wohl 
Zerben könnten, behauptete aber, daß sie solche noch nicht errungen hätten. In
	        
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